Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankengespräche. Krankenkontrollbesuche
Leitsatz (amtlich)
Kein generelles Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. I Nr. 1 BetrVG bei Krankenkontrollbesuchen.
Normenkette
BetrVG § 23 Abs. 3, § 87
Verfahrensgang
ArbG Mainz (Beschluss vom 06.06.2005; Aktenzeichen 10 BV 24/05) |
Tenor
1. Der Arbeitgeberin wird aufgegeben, es zu unterlassen, anlässlich von Krankenkontrollen bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Niederlassung B. A-Stadt, Betrieb A-Stadt, in deren Wohnungen Fragen zu Art, Ursache, Dauer und sonstigen jeweiligen Einzelheiten der Erkrankungen zu stellen, sowie Gespräche mit den Betroffenen darüber zu führen, solange der Betriebsrat seine Zustimmung nicht erteilt hat oder die fehlende Zustimmung des Betriebsrates nicht durch den Spruch der Einigungsstelle ersetzt ist.
Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.
2. Für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Verpflichtung aus Ziffer 1. wird der Antragsgegnerin ein Ordnungsgeld in Höhe von 5.000 EUR angedroht.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Antragsteller (im Folgenden Betriebsrat) mitzubestimmen hat, wenn die Antragsgegnerin (im Folgenden Arbeitgeberin) Krankenkontrollbesuche durchführt.
Der Antragsteller ist der aus 17 Mitgliedern bestehende, für den Betrieb A-Stadt der Niederlassung B. A-Stadt der Arbeitgeberin (Beteiligte zu 2) gewählte Betriebsrat. Im Betrieb A-Stadt sind 1.516 Mitarbeiter (einschließlich Beamte) beschäftigt.
Am 30.12.2004 statteten zwei Mitarbeiter der Arbeitgeberin in deren Auftrag der Arbeitnehmerin Brigitte W einen Krankenkontrollbesuch ab. In der Niederlassung war bekannt, dass Frau W einen privaten Umzug durchführte. Da sie sich am 28.12.2004 krankgemeldet hatte, hegte die Arbeitgeberin Zweifel am Vorliegen einer Erkrankung und veranlasste deshalb den Kontrollbesuch. Die Mitarbeiterin wurde nicht zu Hause angetroffen.
Am 07.01.2005 führten zwei Mitarbeiter der Arbeitgeberin im Auftrag des Abteilungsleiters Auslieferung, Herrn V, bei drei erkrankten Arbeitnehmern (Bernhard U, Jürgen T und Ralf S) einen „fürsorglichen” Krankenbesuch durch. Die drei Arbeitnehmer werden beim demselben Zustellstützpunkt eingesetzt und meldeten sich am selben Tag krank. Sie litten jeweils an einer Magen-Darm-Infektion.
Der Betriebsrat wurde vor Durchführung der Kontrollbesuche nicht beteiligt, sondern lediglich per E-Mail informiert.
Der Betriebsrat hat die Ansicht vertreten, die von der Arbeitgeberin durchgeführten Krankenkontrollen seien nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG mitbestimmungspflichtig. Darüber hinaus führten die Mitarbeiter bei den Krankenkontrollbesuchen mit den betroffenen Arbeitnehmern auch Krankengespräche, die nach der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts mitbestimmungspflichtig seien. Es liege auch ein kollektiver Tatbestand vor. Die Arbeitgeberin habe die drei Arbeitnehmer am 07.01.2005 zu Hause aufsuchen lassen, weil diese sich am gleichen Tag krankgemeldet hätten und sie – die Arbeitgeberin – deshalb vermutet habe, die jeweilige Arbeitsunfähigkeit sei nur vorgetäuscht gewesen.
Damit habe die Arbeitgeberin generalisierende, abstrakte Kriterien aufgestellt, um eine Auswahl derjenigen Personen zu treffen, die durch Krankenbesuche kontrolliert werden sollen. Sie nehme damit auf das Ordnungsverhalten Einfluss. Im Übrigen beeinträchtige der Besuch der Mitarbeiter in deren Privatwohnung deren Privatsphäre und stelle einen erheblichen Eingriff in deren Persönlichkeitsrechte dar. Auf die Arbeitnehmer werde dadurch ein starker Druck ausgeübt, dem sie sich in der Regel nicht entziehen könnten. Wann und unter welchen Voraussetzungen ein Arbeitnehmer überhaupt zu Hause aufgesucht werden dürfe, könne zwischen den Betriebpartnern ohne Weiteres durch eine generelle Regelung, beispielsweise in einer Betriebsvereinbarung, festgelegt werden.
Der Betriebsrat hat erstinstanzlich beantragt,
- der Arbeitgeberin aufzugeben, es zu unterlassen, Krankenkontrollen bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Niederlassung B. A-Stadt, Betrieb A-Stadt, in deren Wohnungen durchzuführen, solange er seine Zustimmung nicht erteilt hat oder die fehlende Zustimmung des Betriebsrates nicht durch den Spruch der Einigungsstelle ersetzt ist,
- für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Verpflichtung aus Ziffer 1. der Arbeitgeberin ein Ordnungsgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, anzudrohen.
Die Arbeitgeberin beantragt,
die Anträge zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, der Antrag zu 1) sei als Globalantrag anzusehen und als unbegründet abzuweisen, weil ein Mitbestimmungsrecht nicht für jeden denkbaren Krankenkontrollbesuch bejaht werden könne.
Sie habe die drei krankgeschriebenen Mitarbeiter am 07.01.2005 aus „fürsorglichen” Gründen zu Hause aufsuchen lassen. Der Abteilungsleiter habe in Erfahrung bringen wollen, ob betriebliche Gründe für die Erkrankung ursächlich sein könnten. Zu demselben Zweck sei auch die Arbeitnehmerin Brigitte W am 30.12.2004 besucht worden.
Sie habe im Ra...