Entscheidungsstichwort (Thema)
Internationales Privatrecht. Kündigung "at will". Anwendung US-amerikanischen Kündigungsrechts. Außerordentliche Kündigung nach US-amerikanischem Recht. Anwendung US-amerikanischer "at will"-Doktrin auf Arbeitsverhältnis einer Bankangestellten innerhalb des Stationierungsgeländes
Leitsatz (redaktionell)
1. Die deutsche Gerichtsbarkeit ist auch für nichtdeutsche Unternehmen wirtschaftlichen Charakters im Sinne des Art. 72 Abs. 1 des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut (ZA-NTS) gegeben; das ergibt sich daraus, dass die nicht deutschen Unternehmen wirtschaftlichen Charakters nach Art. 72 ZA-NTS eine weitaus beschränktere Sonderstellung haben als die nicht wirtschaftlichen Organisationen, die als Bestandteile der Truppe angesehen und behandelt werden.
2. Für alle bis zum 17.12.2009 abgeschlossenen Verträge sind in Deutschland weiterhin aufgrund allgemeiner Grundsätze des intertemporalen Rechts die auf dem Europäischen Schuldvertragsübereinkommen (EVÜ) beruhenden Art. 27-37 EGBGB heranzuziehen und nicht die Bestimmungen der Verordnung 593/2008/EG vom 17.06.2008 (Rom I).
3. Eine Anwendbarkeit oder Nicht-Anwendbarkeit der kündigungsschutzrechtlichen Bestimmungen der §§ 626, 623 BGB, 1 ff KSchG folgt nicht bereits aus Art. 72 Abs. 1 Buchst. b ZA; der dort verwendete Begriff des Arbeitsschutzrechts bezieht sich nur auf die Bestimmungen des eigentlichen Arbeitsschutzes im engeren Sinne, also auf den technischen, medizinischen und sozialen Arbeitsschutz, nicht aber auf sämtliche Arbeitnehmerschutzbestimmungen.
4. Nach Art. 27 Abs. 1 Alt. 2 EGBGB ist eine stillschweigende Rechtswahl zulässig, die sich aus den Bestimmungen des Vertrages oder aus den Umständen ergeben kann; dazu ist auf den tatsächlichen Willen der Parteien und nicht auf einen hypothetischen Willen abzustellen, wobei im Rahmen der Ermittlung des Parteiwillens auch die tatsächliche Vertragsdurchführung zu berücksichtigt werden kann, weil diese Hinweise auf das Vertragsverständnis der Parteien gibt.
5. Erfolgt die Einstellung der Arbeitnehmerin bei einer US-amerikanischen Kreditgenossenschaft mit Sitz in New Hampshire, die in der Bundesrepublik Deutschland auf Stützpunkten der amerikanischen Streitkräfte Filialen betreibt, auf der Grundlage des "Application For Employment" und enthält bereits das Bewerbungsformular deutliche Hinweise darauf, dass sich ein zu begründendes Arbeitsverhältnis nach US-amerikanischem Recht richten soll, ist für eine Arbeitnehmerin, die die amerikanische Staatsbürgerschaft besitzt und zuvor in den USA gearbeitet hat, die (stillschweigende) Vereinbarung amerikanischen Rechts nicht fernliegend.
6. Im US-amerikanischen Kündigungsrecht gilt die aus dem Common-Law entwickelte "at will"-Doktrin, nach der ein unbefristetes Arbeitsverhältnis von jeder Partei jederzeit und ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden kann.
7. Der Anwendbarkeit des US-amerikanischen Kündigungsrechts steht der ordre public (Art 6. EGBGB) nicht entgegen; der ordre public greift nur ein, wenn die Anwendung des ausländischen Rechts zu schlechthin untragbaren Ergebnissen führt.
8. Auch bei Anwendung des US-amerikanischen Rechts ist der Arbeitnehmerin in einem "at will" kündbaren Arbeitsverhältnis nicht jeder Kündigungsschutz versagt; Einschränkungen der "at will"-Doktrin stellen sicher, dass Beschäftigte nicht entgegen einer public-policy, public-policy-exeption oder den whistleblowers-statues arglistig, treuwidrig oder in diskriminierender Weise gekündigt werden.
Normenkette
BGB § 626 Abs. 1, § 623; EGBGB Art. 27 Abs. 1, Art. 30 Abs. 1-2, Art. 27 Abs. 1 Alt. 2, Art. 34; GVG § 20 Abs. 2; ZA-NTS Art. 72 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Kaiserslautern (Entscheidung vom 27.09.2011; Aktenzeichen 8 Ca 1215/11) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Teil-Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 27.09.2011, Az.: 8 Ca 1215/11, abgeändert und die Klage -soweit durch das genannte Teil-Urteil über sie entschieden wurde- abgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beklagte ist eine US-amerikanische Kreditgenossenschaft mit Sitz in New Hampshire. Sie bietet in der Bundesrepublik Deutschland in Filialen, die sich allesamt auf Geländen befinden, die durch die hier stationierten amerikanischen Streitkräfte genutzt werden. Die Beklagte, die ständig mehr als 10 Arbeitnehmer vollzeitig beschäftigt, erbringt ausschließlich bestimmte Finanzdienstleistungen für US-Militärangehörige, das zivile Gefolge und deren Angehörige. Die Errichtung ist u.a. Gegenstand einer Verbalnote vom zwischen dem Auswärtigen Amt und der Botschaft der Vereinigten Staaten (Bl. 54 ff. d.A.), die u.a. Folgendes bestimmt:
Angestellte der Kreditgenossenschaften, die ausschließlich für diese tätig sind, genießen die gleichen Befreiungen und Vergünstigungen wie Mitglieder eines zivilen Gefolges, sofern nicht die Vereinigten Staaten von Amerika diese Befreiungen und Vergünstigungen einschränken. Diese Bes...