Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Minderung des Urlaubsanspruchs wegen Gewährung einer Erwerbsminderungsrente. Kein Verfall von Urlaub bei ständiger Arbeitsunfähigkeit. Keine Pflicht des Arbeitnehmers zur Mitteilung über Gewährung von Erwerbsminderungsrente. Gewährung von Zusatzurlaub nicht von Mitteilung über Schwerbehinderung abhängig
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Urlaubsanspruch besteht auch bei rückwirkender Bewilligung von Rente wegen voller Erwerbsminderung. Das Arbeitsverhältnis kann nur durch Kündigung oder Auflösung beendet werden.
2. Der Urlaubsanspruch bei ununterbrochener Arbeitsunfähigkeit verfällt nicht.
3. Ein Anspruch auf Zusatzurlaub wegen Schwerbehinderung entsteht automatisch.
Normenkette
BUrlG § 7 Abs. 4; BGB § 242
Verfahrensgang
ArbG Trier (Entscheidung vom 11.02.2020; Aktenzeichen 2 Ca 823/19) |
Tenor
- Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Trier vom 11. Februar 2020, Az. 2 Ca 823/19, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
- Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten - zweitinstanzlich noch - über die Abgeltung von Urlaub aus den Jahren 2018 und 2019.
Der 1961 geborene Kläger war vom 01.04.2002 bis zum 15.06.2019 bei der Beklagten als Fahrer zu einem Stundenlohn von zuletzt € 11,00 brutto und einer täglichen Arbeitszeit von acht Stunden in der Fünftagewoche angestellt. Im schriftlichen Arbeitsvertrag war ein Jahresurlaub von 30 Arbeitstagen vereinbart. Mit Wirkung ab 17.02.2017 wurde der Kläger als schwerbehinderter Mensch mit einem GdB von 50 anerkannt. Seit dem 24.08.2017 war er bis zum Beendigungstermin ununterbrochen arbeitsunfähig erkrankt. Mit Bescheid vom 19.09.2018 wurde ihm auf Antrag vom 09.05.2017 eine unbefristete Rente wegen voller Erwerbsminderung mit Wirkung ab 01.09.2017 zuerkannt. Mit Schreiben vom 10.01.2019 teilte der Kläger der Beklagten mit, er sei bereit, über eine Vertragsbeendigung zu verhandeln. In diesem Zusammenhang müssten jedoch die Urlaubsansprüche für die Jahre 2017 und 2018 abgegolten werden. Die Beklagte antwortete ihm mit Schreiben vom 01.02.2019, sie sehe keinen Anlass, über die Konditionen einer sofortigen Vertragsbeendigung zu verhandeln. Es bestehe auch kein Anlass, die Urlaubsansprüche gerichtlich zu klären. Das Arbeitsverhältnis endete durch eine Kündigung des Klägers zum 15.06.2019. Mit seiner am 16.08.2019 erhobenen Klage forderte er Abgeltung von neun restlichen Urlaubstagen aus dem Jahr 2017, 34 Urlaubstagen aus dem Jahr 2018 und 15 Urlaubstagen aus dem Jahr 2019.
Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn als Urlaubsabgeltung für 58 Urlaubstage € 5.432,86 brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkte über dem Basiszinssatz seit dem 21.08.2019 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Ansicht vertreten, das Urlaubsabgeltungsverlangen des Klägers sei unbillig und rechtsmissbräuchlich. Der Kläger habe bereits bei Stellung des Rentenantrags im Mai 2017 gewusst, dass er wegen seines Gesundheitszustands seinen arbeitsvertraglichen Pflichten in Zukunft nicht mehr nachkommen könne. Aufgrund der bestehenden Rücksichtnahmepflichten im Arbeitsverhältnis hätte er sie über den Rentenantrag unverzüglich in Kenntnis setzen müssen. Sie hätte dann das Arbeitsverhältnis beenden und das Entstehen weiterer Urlaubsansprüche verhindern können. Die Urlaubsansprüche aus dem Jahr 2017 seien zum 31.03.2019 verfallen, Schwerbehindertenzusatzurlaub habe der Kläger in den Jahren 2017 und 2018 nicht geltend gemacht.
Das Arbeitsgericht Trier hat mit Urteil vom 11.02.2020 die Klage auf Abgeltung des Urlaubs für das Jahr 2017 abgewiesen. Der weitergehenden Klage auf Abgeltung von 34 Urlaubstagen aus 2018 sowie 15 Urlaubstagen aus 2019 in einer Gesamthöhe von € 4.303,67 brutto nebst Zinsen hat das Arbeitsgericht stattgegeben und zur Begründung - zusammengefasst - ausgeführt, der restliche Urlaubsanspruch aus 2017 sei mit Ablauf des 31.03.2019 verfallen. In den Jahren 2018 und 2019 habe der Kläger trotz seiner Arbeitsunfähigkeit und trotz des Rentenbezugs Urlaubsansprüche erworben. Der Kläger verhalte sich nicht rechtsmissbräuchlich. Er sei nicht verpflichtet gewesen, die Beklagte über das Rentenverfahren zu informieren, so dass ihm kein arglistiges Verschweigen vorgeworfen werden könne. Nach dem Vortrag der Beklagten sei der Kläger während seiner Erkrankung regelmäßig im Betrieb erschienen und habe die Wiederaufnahme der Arbeit in Aussicht gestellt. Dies zeige, dass der Kläger selbst nicht davon ausgegangen sei, dauerhaft nicht mehr arbeiten zu können. Das Argument der Beklagten, sie hätte das Arbeitsverhältnis beenden und damit das Entstehen weiterer Urlaubsansprüche verhindern können, wenn sie vom Rentenantrag gewusst hätte, greife nicht durch. Die Erwerbsminderung allein sei kein Kündigungsgrund. Ob die Beklagte das Arbeitsverhältnis wegen der langandauernden Arbeitsunfähigkeit des Klägers hätte kündigen können, sei hier nicht zu beurteilen. Der Kläger habe selbst gekündigt...