Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfallklausel. Verwirkungsklausel. Verwirkungsabrede in einem Formulararbeitsvertrag
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Unterschied zwischen sog. Verfallklauseln bzw. Verwirkungsabreden zu Vertragsstrafeversprechen ist rein rechtstechnischer Art: Während sich der Schuldner mit Eingehung eines Vertragsstrafversprechens verpflichtet, bei Nichterfüllung oder nicht gehöriger Erfüllung seiner Verbindlichkeit eine zur Hauptleistung hinzutretende Leistung zu erbringen, sieht die Verwirkungsabrede für diesen Fall den Eintritt eines Rechtsverlusts vor. Die wirtschaftliche Belastung wird i.d.R. gleich sein. Die wirtschaftliche und funktionelle Verwandtschaft von Straf- und Wirkungsabreden spricht dafür, die Grundsätze zu den Wirksamkeitsvoraussetzungen der Vertragsstrafe auch auf Verwirkungsklauseln zu erstrecken.
2. Bei einem schuldhaften vertragswidrigen Verhalten, das den Arbeitgeber zu einer fristlosen Kündigung veranlasst, wird der Interessenausgleich in erster Linie durch die Möglichkeit der fristlosen Kündigung des Arbeitgebers herbeigeführt. Eine darüber hinausgehende Bestrafung des Arbeitnehmers durch die Vertragsstrafe kann nur durch Verletzung weiterer schutzwürdiger Interessen des Arbeitgebers gerechtfertigt sein, so z. B. durch bestimmte Eigentums- oder Vermögensverletzungen durch den Arbeitnehmer. Für eine Vertragsstrafe, die durch jegliches schuldhaftes vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers, das den Arbeitgeber zur fristlosen Kündigung veranlasst, verwirkt wird, fehlt es an einem berechtigtem Interesse des Arbeitgebers. Sie stellt eine unangemessene Übersicherung dar.
Normenkette
BGB § 307 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Mainz (Urteil vom 28.03.2008; Aktenzeichen 8 Ca 2572/07) |
Tenor
1. Es wird festgestellt, dass der Rechtsstreit erledigt ist, soweit die Beklagte verurteilt wurde, dem Kläger für das Geschäftsjahr 2006/2007 eine ordnungsgemäße Tantiemeabrechnung zu erteilen und den sich daraus ergebenden Betrag in Höhe von EUR 169.021,81 brutto abzüglich bereits gezahlter EUR 94.127,36 netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 03. Januar 2008 zu zahlen.
2. Soweit der Rechtsstreit nicht gem. Ziff. 1 erledigt ist, wird die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 28.03.2008, Az.: 8 Ca 2572/07 zurückgewiesen.
3. Die erstinstanzlichen Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu ¼ und die Beklagte zu ¾; die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob dem Kläger für das Geschäftsjahr 2006/2007 ein Anspruch auf Tantiemezahlung in Höhe von 169.021,81 EUR brutto abzüglich bereits gezahlter 94.127,36 EUR netto nebst Zinsen zusteht. Der Kläger hat erstinstanzlich einen entsprechenden Zahlungsanspruch geltend gemacht. Die Beklagte hat im Wege der Widerklage die Rückzahlung des Tantiemebetrags nebst Zinsen geltend gemacht. Der Kläger war seit dem 01.09.2003 bei der Beklagten beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete durch außerordentliche, fristlose Kündigung der Beklagten gemäß Schreiben vom 18./25.Juli 2007. Die hiergegen gerichtete Kündigungsschutzklage blieb auch zweitinstanzlich ohne Erfolg (Urteil des Landesarbeitsgerichts vom 16.01.2009, Az.: 9 Sa 286/08).
Dem Arbeitsverhältnis lagen u. a. folgende vertragliche Regelungen zugrunde:
Anstellungsvertrag vom 05.10.2003 (Bl. 9 ff. d. A.). In diesem heißt es u. a.:
„4.2
Im ersten Jahr der Beschäftigung erhält der Mitarbeiter eine Garantietantieme in Höhe von EUR 25.000,00 brutto. Sie ist zahlbar im Dezember 2003 mit einem Betrag von EUR 12.500,00 brutto und im Dezember 2004 weitere EUR 12.500,00 brutto.
Zusätzlich zur Garantietantieme erhält Herr D. im Wirtschaftsjahr 2003/2004, bei 100%igem Erreichen der noch zu vereinbarenden Ziele, eine Tantieme in Höhe von EUR 15.000,00 brutto.
Die Zahlung erfolgt im Dezember des entsprechenden Wirtschaftsjahres.
Für das 2. volle Wirtschaftsjahr wird eine neue Tantiemeregelung vereinbart.
Die Tantieme wird jährlich neu festgelegt, wobei es sich bei der Tantieme um eine freiwillige Leistung handelt, auf die auch bei wiederholter Zahlung kein Rechtsanspruch besteht. Eine Tantieme gilt nicht als geschuldet, solange die Vertragsparteien keine Einigung über deren Festlegung herbeigeführt haben.”
„10 Vertragsstrafe
Löst der Mitarbeiter das Arbeitsverhältnis unter Vertragsbruch oder veranlasst er den Arbeitgeber durch schuldhaft vertragswidriges Verhalten zur fristlosen Kündigung des Arbeitsvertrages, so hat der Mitarbeiter dem Arbeitgeber eine Vertragsstrafe in Höhe eines Brutto-Monatsentgeltes zu zahlen.
Weitergehende Schadenersatzansprüche werden hierdurch nicht berührt.”
Nachtrag Nr. 1 vom 25.11.2003 (Bl. 34, 35 d. A.). In diesem heißt es u. a.:
Vergütung
- Der Mitarbeiter erhält ein Jahresfixgehalt das in zwölf monatlichen Teilbeträgen gezahlt wird. Die jeweilige Höhe ergibt sich aus der Anlage 1.
- Zusätzlich erhält der Mitarbeiter jährlich einmalig eine Tantie...