Entscheidungsstichwort (Thema)
Annahmeverzugslohnansprüche der freigestellten Arbeitnehmerin als Neumasseforderung bei unterlassener Kündigung durch Insolvenzverwalter nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit
Leitsatz (redaktionell)
1. Gemäß § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO gelten als Neumasseforderungen nach § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO auch die Verbindlichkeiten aus einem Dauerschuldverhältnis für die Zeit nach dem ersten Termin, zu dem der Verwalter nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit kündigen konnte.
2. Kündigungen im Sinne des § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO sind nach dem klaren Wortlaut der Vorschrift solche, die der Insolvenzverwalter nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit aussprechen kann, um damit bei der Rangordnung von Forderungen im Insolvenzverfahren eine Zäsur durch die Anzeige der Massearmut zu setzen; mit dem Begriff des “Könnens„ im Sinne des § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO ist ein rechtliches Können gemeint.
3. Nach dem Zweck des § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO ist ausschlaggebend, ob der Insolvenzverwalter im massearmen Insolvenzverfahren für die Begründung der Verbindlichkeiten verantwortlich ist oder ob er die Möglichkeit hatte, ihre Entstehung durch Kündigung des Dauerschuldverhältnisses zu verhindern: aufgezwungene Verbindlichkeiten werden als Altmasseverbindlichkeiten behandelt; Verbindlichkeiten, deren Entstehung der Insolvenzverwalter verhindern konnte, gelten als Neumasseverbindlichkeiten.
4. Für die Frage, ob der Insolvenzverwalter Neumasseverbindlichkeiten im Sinne des § 209 Abs. 1 Nr. 2 in Verbindung mit § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO dadurch begründet hat, dass er ein Dauerschuldverhältnis nicht zum frühestmöglichen Termin gekündigt hat, kommt es auf den subjektiven Kenntnisstand nicht an; grundsätzlich ist für die Frage der frühesten Kündigungsmöglichkeit die objektive Lage entscheidend.
5. Eine Freistellung verhindert lediglich die Rechtsfolge des § 209 Abs. 2 Nr. 3 InsO, nicht jedoch die des § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO; § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO rechtfertigt den Umkehrschluss, dass die bis zum ersten Kündigungstermin entstehenden Ansprüche aus einem Dauerschuldverhältnis Altmasseverbindlichkeiten im Sinne des § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO sind.
Normenkette
ArbGG § 72 Abs. 2 Nrn. 1-2; InsO § 209 Abs. 1 Nrn. 2-3, Abs. 2 Nrn. 2-3
Verfahrensgang
ArbG Trier (Entscheidung vom 03.12.2015; Aktenzeichen 3 Ca 632/15) |
Nachgehend
Tenor
Tatbestand
Die Parteien streiten um Annahmeverzugslohnansprüche.
Die Klägerin war seit November 1996 bei der Einzelfirma A S e. K. (im Folgenden: Insolvenzschuldnerin) beschäftigt, zuletzt als Filialleiterin der Filiale R zu einem durchschnittlichen Bruttomonatsgehalt von 2.680,60 Euro.
Die Insolvenzschuldnerin kündigte das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 25. November 2011 ordentlich zum 31. Mai 2012. Am 28. März 2012 wurde über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte wurde zum Insolvenzverwalter bestellt. Der Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis erneut mit Schreiben vom 28. März 2012 ordentlich zum 30. Juni 2012. Die Klägerin hat gegen beide Kündigungen fristgerecht beim Arbeitsgericht Trier Kündigungsschutzklage erhoben.
Der Geschäftsbetrieb aller Filialen der Insolvenzschuldnerin wurde zum 30. Juni 2012 eingestellt. Die Klägerin war ab 01. Juli 2012 von ihrer Arbeitsleistung freigestellt. Mit Schreiben vom 23. August 2012 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis der Klägerin erneut ordentlich zum 30. November 2012. Am 31. August 2012 zeigte der Beklagte beim Insolvenzgericht drohende Masseunzulänglichkeit an, die mit Beschluss vom 03. September 2012 bekannt gemacht wurde.
Das Arbeitsgericht Trier hat der von der Klägerin gegen die Kündigung vom 25. November 2011 erhobenen Kündigungsschutzklage mit Urteil vom 15. Mai 2012 - 2 Ca 1620/11 -, dem Beklagten zugestellt am 15. Juni 2012, stattgegeben. Auch die von der Klägerin gegen die Kündigung vom 28. März 2012 erhobene Kündigungsschutzklage war aufgrund Urteils des Arbeitsgerichts Trier vom 11. September 2012 - 2 Ca 697/12 - erfolgreich. Ebenso hat das Arbeitsgericht Trier der von der Klägerin gegen die Kündigung vom 23. August 2012 erhobenen Kündigungsschutzklage mit Urteil vom 07. März 2013 - 4 Ca 1304/12 -, zugestellt am 20. März 2013, stattgegeben und zur Begründung angeführt, es habe kein wirksame Massenentlassungsanzeige nach § 17 KSchG vorgelegen, da der angehörte Gesamtbetriebsrat nicht wirksam gebildet gewesen sei. Das Rechtsmittel der Berufung hat der Beklagte lediglich gegen das Urteil vom 11. September 2012 - 2 Ca 697/12 - ergriffen, diese jedoch zurückgenommen.
Mit Schreiben vom 16. Mai 2013 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis erneut zum 31. August 2013. Die Parteien beendeten den von der Klägerin auch gegen diese Kündigung angestrengten Kü...