Entscheidungsstichwort (Thema)
Darlegungs- und Beweislast im Überstundenvergütungsprozess. Erwiderungspflicht des Arbeitgebers im Rahmen einer abgestuften Darlegungs- und Beweislast. Arbeitgeberseitige Veranlassung und Zustimmung zur Leistung von Überstunden. Charakteristika eines Arbeitszeitkontos. Arbeitsvertragsklausel als Allgemeine Geschäftsbedingung. Unwirksamkeit eines Arbeitszeitkontos wegen mangelnder Bestimmtheit der Leistungspflichten des Arbeitnehmers i.S.d. § 308 Nr. 1 BGB
Leitsatz (redaktionell)
1. Im Überstundenprozess genügt der Arbeitnehmer auf der ersten Stufe der Darlegung seiner Vortragslast, indem er vorträgt, an welchen Tagen er von wann bis wann Arbeit geleistet oder sich auf Weisung des Arbeitgebers zur Arbeit bereitgehalten hat.
2. Auf den Vortrag des Arbeitnehmers muss der Arbeitgeber substantiiert erwidern und im Einzelnen vortragen, welche Arbeiten er dem Arbeitnehmer zugewiesen hat und an welchen Tagen der Arbeitnehmer von wann bis wann diesen Weisungen - nicht - nachgekommen ist. Trägt er nichts vor oder lässt er sich nicht substantiiert ein, gelten die vom Arbeitnehmer vorgetragenen Arbeitsstunden als zugestanden.
3. Teilt der Arbeitgeber den Arbeitnehmer in Dienstpläne ein und nimmt er dessen Arbeitszeitaufzeichnungen zur Grundlage der Entgeltabrechnung, drückt er damit sein Einverständnis mit einer Überstundenleistung aus.
4. Ein Arbeitszeitkonto hält fest, in welchem zeitlichen Umfang der Arbeitnehmer seine Hauptleistungspflicht nach § 611a Abs. 1 BGB erbracht hat oder aufgrund eines Entgeltfortzahlungstatbestandes (zum Beispiel § 616 S. 1 BGB, § 3 Abs. 1 EFZG, § 1 BUrlG) nicht erbringen musste und deshalb Vergütung beanspruchen kann bzw. in welchem Umfang er noch Arbeitsleistung für die vereinbarte und gezahlte Vergütung erbringen muss.
5. Formuliert der Arbeitgeber Vertragsklauseln für eine Vielzahl von Fällen einseitig vor und verwendet er sie formularmäßig, handelt es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen, die der Inhaltskontrolle der §§ 305 ff. BGB unterliegen.
6. Regelt ein Arbeitszeitkonto weder eine Obergrenze für Guthabenstunden noch einen Höchstwert für Minusstunden noch einen feststehenden Ausgleichszeitraum und sieht es eine Auszahlung von Überstunden lediglich nach Vereinbarung mit dem Arbeitgeber vor, verstößt es gegen § 308 Nr. 1 BGB, da es den Arbeitnehmer unangemessen benachteiligt und die Leistungspflichten nicht hinreichend bestimmt.
Normenkette
BGB § 202 Abs. 1, § 305 Abs. 1, § 307 Abs. 1 S. 2, § 310 Abs. 3 Nr. 1, § 611a Abs. 2; BUrlG § 7 Abs. 4; MiLoG § 3 S. 1; ZPO § 138; BGB § 308 Nr. 1, § 616 S. 1; EFZG § 3 Abs. 1; BetrVG § 37 Abs. 2; BUrlG § 1
Verfahrensgang
ArbG Kaiserslautern (Entscheidung vom 04.11.2020; Aktenzeichen 6 Ca 162/20) |
Tenor
- Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern - Auswärtige Kammern Pirmasens - vom 4. November 2020, Az. 6 Ca 162/20, wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
- Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Berufungsverfahren noch über die Vergütung streitiger Überstunden und Urlaubsabgeltung.
Die Klägerin war seit dem 1. September 2016 bei der Beklagten als Altenpflegerin und Praxisanleiterin im ambulanten Pflegedienst im Umfang von 38,5 Stunden/Woche bei einem zuletzt durchschnittlich erzielten Bruttomonatsentgelt in Höhe von 2.900,00 € brutto beschäftigt. Dem Arbeitsverhältnis lagen Arbeitsverträge vom 1. August 2016 und vom 1. Juli 2017 (im Folgenden: Arbeitsvertrag 2017) zugrunde. § 4 "Arbeitszeit/Arbeitszeitkonto" des Arbeitsvertrages 2017 lautet:
"(1) Die durchschnittliche Arbeitszeit beträgt 38,5 Wochenstunden. Die Arbeitnehmerin verpflichtet sich, im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen auf Verlangen Überstunden (Mehrarbeit) zu leisten.
(2) Für die Arbeitnehmerin wird ein Arbeitszeitkonto eingerichtet. Am Monatsende werden Plus- bzw. Minusstunden dem Arbeitszeitkonto gutgeschrieben bzw. in Abzug gebracht.
(3) Überstunden werden nach Vereinbarung mit der Arbeitgeberin ausgezahlt.
(4) Ein negativer Arbeitszeitkontostand stellt sich als entsprechender Vergütungsvorschuss der Arbeitgeberin dar."
In "§ 11 Ausschlussfristen" ist geregelt:
"Alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis sind von den Vertragsparteien innerhalb einer Frist von 3 Monaten ab Fälligkeit geltend zu machen. Im Falle der Ablehnung bzw. keiner Erklärung innerhalb von zwei Wochen nach Geltendmachung sind Ansprüche innerhalb einer Frist von weiteren 3 Monaten ab Zugang der Ablehnung bzw. Ablauf der 2 Wochen gerichtlich geltend zu machen."
Wegen des Inhalts des Arbeitsvertrages 2017 im Übrigen wird auf Bl. 16 ff. d. A. Bezug genommen. Der Arbeitsvertragstext wurde standardmäßig bei der Beklagten verwendet.
Die Klägerin war längere Zeit arbeitsunfähig. Die Entgeltfortzahlung endete zum 11. November 2019, ab dem 12. November 2019 bezog sie bis zum Beendigungszeitpunkt Krankengeld. Die Klägerin kündigte das Arbeitsverhältnis mit anwaltlichem Schreiben vom 21. Janu...