Entscheidungsstichwort (Thema)
Das Maßregelungsverbot des § 612a BGB. Zulässige Kündigung in der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG. Impfverweigerung als Kündigungsgrund
Leitsatz (amtlich)
Es verstößt nicht gegen das Maßregelungsverbot des § 612 a BGB, wenn ein Krankenhausträger in der gesetzlichen Wartezeit einer medizinischen Angestellten in der Patientenversorgung kündigt, weil sie sich nicht gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 impfen lassen will.
Leitsatz (redaktionell)
1. Das Benachteiligungsverbot des § 612a BGB soll den Arbeitnehmer in seiner Willensfreiheit bei der Entscheidung darüber schützen, ob er ein Recht ausüben will oder nicht. Übt er in zulässiger Weise sein Recht aus, darf er keinen wirtschaftlichen oder sonstigen Repressalien des Arbeitgebers ausgesetzt sein.
2. Die grundrechtliche Gewährleistung der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit des Arbeitgebers erstreckt sich auch auf das Interesse, in seinem Unternehmen nur Mitarbeiter zu beschäftigen, die seinen Vorstellungen entsprechen. In der gesetzlichen Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG bedarf es keiner besonderen Begründung für eine Kündigung.
3. Ein Krankenhausträger kann eine Beschäftigte, die eine COVID-19-Schutzimpfung ablehnt, innerhalb der gesetzlichen Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG kündigen, ohne dass dies ein Verstoß gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB wäre.
Normenkette
BGB §§ 134, 612a; GG Art. 2 Abs. 1-2, Art. 12 Abs. 1; GRC Art. 20, 51; RL 1999/70/EG Art. 2; RL 1999/70/EG Anhang § 4; IfSG § 20a; KSchG § 1 Abs. 1; TVöD-K § 30 Abs. 5
Verfahrensgang
ArbG Ludwigshafen (Entscheidung vom 18.11.2021; Aktenzeichen 8 Ca 1008/21) |
Nachgehend
Tenor
- Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 18. November 2021, Az. 8 Ca 1008/21, abgeändert und die Klage abgewiesen.
- Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
- Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Wartezeitkündigung.
Die 1987 geborene Klägerin (verheiratet, drei Kinder) war bei der Beklagten seit dem 1. Februar 2021 auf der Grundlage eines bis zum 31. Januar 2022 sachgrundlos befristeten Arbeitsvertrags als medizinische Fachangestellte in Teilzeit (zuletzt mit 12,2 Wochenstunden) beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis war der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst in der für den Bereich Krankenhäuser maßgeblichen Fassung (TVöD-K) anwendbar. Die Monatsvergütung der Klägerin betrug nach Entgeltgruppe 5 TVöD-K € 1.200,00 brutto.
Die Beklagte, eine gemeinnützige GmbH in kommunaler Trägerschaft, betreibt ein Krankenhaus der Maximalversorgung. Von den 3.100 Arbeitnehmern waren nach Angaben der Beklagten (bis Mitte November 2021) insgesamt 250 - so auch die Klägerin - nicht gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 geimpft. Die Klägerin wurde als Mitglied eines Pools von medizinischen Fachangestellten auf verschiedenen Stationen in der Patientenversorgung eingesetzt. Sie nahm die Impfangebote der Beklagten nicht wahr, weil sie sich nicht gegen SARS-CoV-2 impfen lassen wollte.
Mit Schreiben vom 28. Juni 2021 hörte die Beklagte den zuständigen Betriebsausschuss zur beabsichtigten ordentlichen Kündigung der Klägerin zum 31. Juli 2021 an. Sie führte aus, sie wolle das Arbeitsverhältnis beenden, weil die Klägerin nicht gegen SARS-CoV-2 geimpft sei und der zuständigen Pflegedienstleiterin mitgeteilt habe, dass sie sich nicht impfen lassen wolle. Der Betriebsausschuss widersprach der Kündigung mit Schreiben vom 5. Juli 2021.
Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 22. Juli zum 31. August 2021. Hiergegen wehrt sich die Klägerin mit ihrer rechtzeitig erhobenen Klage. Sie macht insbesondere geltend, die Kündigung verstoße gegen das Maßregelungsverbot nach § 612a BGB.
Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,
- festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 22. Juli 2021 nicht beendet worden ist, sondern bis zum 31. Januar 2022 fortbesteht,
- die Beklagte zu verurteilen, sie bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens, längstens bis zum 31. Januar 2022, zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als medizinische Fachangestellte weiter zu beschäftigen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestandes und des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils vom 18. November 2021 Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben und zur Begründung - zusammengefasst - ausgeführt, die Wartezeitkündigung sei nach § 134 BGB wegen Verstoßes gegen § 612a BGB unwirksam. Die Klägerin habe ihr Recht ausgeübt, sich nicht gegen SARS-CoV-2 impfen zu lassen. Ihre Entscheidung sei durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 GG) geschützt, zumal keine gesetzliche COVID-19-Impfpflicht bestanden habe. Weil die legitime Impfweigerung der Klägerin t...