Entscheidungsstichwort (Thema)
Feststellungsklage zur Vergütungspflicht und deren Widerrufsfestigkeit. Anforderungen an die Darlegung einer betrieblichen Übung. Mehrurlaub für ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
Leitsatz (amtlich)
Die Sachurteilsvoraussetzung eines rechtlichen Interesses an alsbaldiger richterlicher Entscheidung ist nur gegeben, wenn durch die Entscheidung ein akuter Streit insgesamt bereinigt wird. Deshalb können nicht nur einzelne Elemente eines Rechtsverhältnisses, abstrakte Rechtsfragen oder rechtliche Vorfragen zur gerichtlichen Entscheidung gestellt werden. Bei einem auf Feststellung einer Zahlungsverpflichtung gerichteten Antrag muss sichergestellt sein, dass über weitere Faktoren, die die Zahlungshöhe bestimmen, kein Streit besteht und die konkrete Bezifferung lediglich eine einfache Rechenaufgabe ist, die von den Parteien in einem unstreitigen Verfahren ebenso wie die weiteren Zahlungsmodalitäten selbst umgesetzt werden können.
Das Feststellungsinteresse fehlt, wenn dem Antragsteller ein einfacherer Weg zur Verfügung steht, um sein Ziel zu erreichen, oder wenn die begehrte Feststellung zu keiner abschließenden Klärung des Streits geeignet ist. Der Vorrang der Leistungsklage gilt bei streitigen künftigen Leistungen nicht ohne weiteres, namentlich wenn eine Klage auf künftige Leistung nicht erhoben werden kann.
Die Anforderungen an die Darlegung einer betrieblichen Übung dürfen nicht unzumutbar sein. Es genügt, dass der Arbeitnehmer die Umstände darlegt, die den Eindruck einer festen Übung erwecken. Danach obliegt es dem Arbeitgeber nach § 138 Abs. 2 ZPO, dem Anschein einer betrieblichen Übung entgegenzutreten.
Nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB sind Klauseln, die eine Kombination von Freiwilligkeits- und Widerrufsvorbehalten aufweisen, intransparent. Sinn des Transparenzgebots ist es, der Gefahr vorzubeugen, dass der Vertragspartner des Klauselverwenders von der Durchsetzung bestehender Rechte abgehalten werden kann. Eine solche Situation ist bei der Kombination von Freiwilligkeits- und Widerrufsvorbehalten regelmäßig gegeben.
Ein zweitägiger Mehrurlaub für über 58-Jährige dient der Sicherstellung des Schutzes der Beschäftigung älterer Arbeitnehmer in objektiv, angemessen legitimer Weise i.S.d. § 10 Satz 1 und 3 Nr. 1 AGG. Die verlängerte Urlaubsgewährung verhilft älteren Beschäftigten bei genereller Betrachtung zur Absicherung ihrer Erwerbsfähigkeit. Die ILO-Empfehlung Nr. 162 vom 23.6.1980 nennt in Ziff. III Nr. 14 Buchst. b und c sowohl die Verkürzung der Arbeitszeit als auch die Verlängerung des bezahlten Jahresurlaub in Referenz zum zunehmenden Lebensalter als betrieblich probates Mittel zum Schutz der Beschäftigung älterer Arbeitnehmer.
Normenkette
ArbGG §§ 1, 10, 15, 3, 7; BGB § 307 Abs. 1 S. 1; NachwG § 2 Abs. 1 S. 2; ZPO § 256 Abs. 1; BGB §§ 133, 151, 157, 242, 305 Abs. 1 S. 1, § 307 Abs. 1 S. 2, § 611 Abs. 1; AGG § 3 Abs. 1 S. 1, § 7 Abs. 1-2, § 10 Sätze 1, 3 Nr. 1; NachwG § 2 Abs. 1 Sätze 1, 2 Nr. 6, § 3 S. 1, § 4 S. 1; ZPO § 138 Abs. 2, § 253 Abs. 2 Nr. 2, § 256 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Koblenz (Entscheidung vom 18.10.2011; Aktenzeichen 8 Ca 1361/11) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Klägerpartei wird das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 18.10.2011 - Az. 8 Ca 1361/11 - unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise wie folgt abgeändert:
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerpartei gemeinsam mit dem Gehalt für den Monat November ein jährliches Weihnachtsgeld, das in der Gehaltsmitteilung zuletzt als "Weihnachtsgeld 40 %" ausgewiesen war, zu zahlen, bei dem es sich nicht um eine freiwillige Leistung der Beklagten handelt und welches auch nicht von der Beklagten widerrufen werden kann.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerpartei ein jährliches Urlaubsgeld zu zahlen, welches in der Gehaltsmitteilung zuletzt als "Urlaubsgeld 23,25 %" ausgewiesen war und das jeweils gemeinsam mit dem Gehalt für die Monate Juni und Oktober gezahlt wird, dessen Zahlung nicht freiwillig erfolgt und welches von der Beklagten auch nicht widerrufen werden kann.
Die Beklagte wird verurteilt, gegenüber der klagenden Partei die Zusammensetzung und Höhe der mit der Klägerpartei vereinbarten stückzahlabhängigen Leistungsprämie sowie deren Fälligkeit schriftlich niederzulegen und die Niederschrift zu unterzeichnen.
Die Beklagte wird verurteilt, der klagenden Partei gegenüber Zusammensetzung und Höhe der der Klägerin zu zahlende Anwesenheitsprämie in Höhe von 5 % des Bruttolohnes, errechnet aus der Summe aus Arbeits- und Urlaubsstunden schriftlich niederzulegen und die Niederschrift zu unterzeichnen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die klagende Partei zu 74 %, die Beklagte zu 26 % zu tragen.
Die Revision wird - mit Ausnahme der Abweisung des Antrags zu Ziffer 8 bezüglich des Jahresurlaubs von 36 Arbeitstagen, für den die Revision für die Klägerseite zugelassen wird - nicht zugelassen...