Entscheidungsstichwort (Thema)

"Wichtiger Grund" i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB. Versuchter Prozessbetrug als Kündigungsgrund. Präjudizielle Wirkung eines ersten Kündigungsschutzprozesses

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Bei einer fristlosen Kündigung ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände "an sich", d.h. typischerweise, als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der Umstände des Falles jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht.

2. Unabhängig von einer strafrechtlichen Einordnung, auf die es im Kündigungsrechtstreit nicht entscheidend ankommt, verletzt ein Arbeitnehmer die ihm obliegende Rücksichtnahmepflicht (§ 241 Abs. 2 BGB), wenn er im Rechtstreit um eine Kündigung bewusst wahrheitswidrig vorträgt, weil er befürchtet, mit wahrheitsgemäßen Angaben den Prozess nicht gewinnen zu können. Versuchter Prozessbetrug kann einen Kündigungsgrund darstellen.

3. Ist in einem Kündigungsrechtstreit entschieden, dass das Arbeitsverhältnis durch eine bestimmte Kündigung nicht aufgelöst worden ist, so kann der Arbeitgeber eine erneute Kündigung nicht auf Kündigungsgründe stützen, die er schon zur Begründung der ersten Kündigung vorgebracht hat und die in dem ersten Kündigungsschutzprozess materiell geprüft worden sind mit dem Ergebnis, dass sie die Kündigung nicht rechtfertigen können. Der zweiten, rechtzeitig erhobenen Klage ist ohne weiteres stattzugeben.

 

Normenkette

ArbGG § 54 Abs. 2 S. 2; BGB § 241 Abs. 2, § 626 Abs. 1; KSchG § 1 Abs. 1-2; ZPO § 322 Abs. 1; BetrVG § 103

 

Verfahrensgang

ArbG Kaiserslautern (Entscheidung vom 15.09.2021; Aktenzeichen 2 Ca 493/21)

 

Tenor

  • I.

    Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 15.09.2021 - 2 Ca 493/21 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

  • II.

    Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer fristlosen, hilfsweise ordentlichen Kündigung.

Der 1993 geborene, ledige Kläger war seit dem 1. Januar 2018 bei der Beklagten als Zurichter beschäftigt. Die Beklagten beschäftigt in ihrem Betrieb mehr als zehn Arbeitnehmer ausschließlich der zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten.

Mit Schreiben vom 9. Februar 2021 hatte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31. März 2021 gekündigt. Hiergegen hatte sich der Kläger mit seiner am 23. Februar 2021 beim Arbeitsgericht Kaiserslautern eingereichten Kündigungsschutzklage - 1 Ca 162/21 - gewandt. In diesem vorangegangenen Kündigungsrechtstreit der Parteien hatte die Beklagte zur Begründung der Kündigung mit Schriftsatz vom 19. April 2021 vorgetragen, der Kläger habe am 12. Januar 2021 einen 12-Liter-Eimer mit Isoprophylalkohol befüllt und die im Eimer befindliche Flüssigkeit angezündet, wobei es zu einer hohen Flammenbildung gekommen sei und die Flammen auch auf die Kleidung des Klägers übergriffen seien. Auf die Frage des sofort vor Ort gekommenen Vorarbeiters E., was denn passiert sei, habe der Kläger geantwortet, dass er sich an dem Eimer mit angezündeter Alkoholverdünnung habe aufwärmen wollen und sich dann verbrannt habe. Der Kläger hatte im Vorprozess mit Schriftsatz vom 11. Mai 2021 erwidert, er habe entgegen dem Vortrag der Beklagten den Eimer mit Alkoholverdünnung nicht angezündet, um sich aufzuwärmen und habe dies Herrn E. auch nicht so erklärt. Vielmehr habe er in den Eimer, in dem sich noch zwei bis drei Liter Schlichte befunden habe, vorsichtig zwei weitere Liter Alkohol (aus einem mit ca. 11 Liter Alkohol befüllten 12-Liter-Eimer) hinzugekippt und dann den Eimer angezündet, um die Verhärtung für den Reinigungsvorgang zu erreichen, also um einen gemäß seiner Darstellung üblichen und von der Beklagten tolerierten Arbeitsschritt durchzuführen. Im Vorprozess der Parteien hatte das Arbeitsgericht mit Urteil vom 27. Mai 2021 - 1 Ca 162/21 - der vom Kläger erhobenen Kündigungsschutzklage stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass zwar ein Vertragsverstoß des Klägers gegeben sei, der allerdings nicht so gravierend sei, dass eine Kündigung ohne vorherige Aussprache einer Abmahnung als zulässig angesehen werden könne. Dabei gehe das Gericht davon aus, dass der Kläger entgegen seinen Ausführungen im Schriftsatz vom 11. Mai 2021 und seinen Einlassungen im Kammertermin tatsächlich eine nicht unerhebliche Menge Isoprophylalkohol in einem Eimer angezündet habe - ob mit oder ohne darin sich befindlicher Schlichte sei insofern irrelevant -, um sich aufzuwärmen. Dies habe der Kläger auf ausdrückliche Nachfrage im Gütetermin gegenüber dem Vorsitzenden genauso erklärt und sein Verhalten damit gerechtfertigt, dass es in der Halle sehr kalt gewesen sei. Sein nunmehriges Bestreiten und seine andere Darlegung der Dinge sehe auch das Gericht als Schutzbehauptung an. Dies habe allerdings nicht weiter aufgeklärt werden müssen, weil selbst in diesem Fall eine Kündigung ohne Abmahnung als unwirksam anzusehen sei.

Mit Schr...

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