Entscheidungsstichwort (Thema)
Fristlose Kündigung bei Kraftstoffdiebstahl. Schadensersatzverpflichtung bei Diebstahl von Kraftstoff. Darlegungs- und Beweislast bei fristloser Kündigung wegen Diebstahl von Dieselkraftstoff
Leitsatz (redaktionell)
1. Für die arbeitsrechtliche Bewertung eines Sachverhalts kommt es nicht auf die Strafbarkeit der Pflichtverletzung an.
2. Die fristlose Kündigung ist rechtmäßig, da der Kraftfahrer bewiesenermaßen in einer Vielzahl an Fällen aus den von ihm geführten Firmen LKW-Diesel für private Zwecke abgezapft hat. Andere Personen kommen als Täter für die fraglichen Zeiträume nicht in Betracht.
3. Bei schweren, beharrlichen und vorsätzlichen Pflichtverletzungen bedarf es keiner vorherigen Abmahnung.
4. Der Arbeitgeber hat Anspruch auf Schadensersatz für den abgepumpten Dieselkraftstoff.
Normenkette
BGB §§ 280, 626; ZPO § 286; BGB § 628 Abs. 2; GewO § 123; HGB § 71; ZPO § 97 Abs. 1, § 138 Abs. 3-4
Verfahrensgang
ArbG Koblenz (Entscheidung vom 11.06.2019; Aktenzeichen 11 Ca 3690/18) |
Tenor
- Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 11.06.2019, Az.: 11 Ca 3690/18, aufgehoben.
- Die Kündigungsschutzklage des Klägers wird abgewiesen.
- Auf die Widerklage wird der Kläger verurteilt, 2.945,99 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.01.2019 an die Beklagte zu zahlen.
- Die weitergehende Widerklage wird, ebenso wie die Zahlungsklage des Klägers, abgewiesen.
- Die Kosten beider Rechtszüge werden gegeneinander aufgehoben.
- Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits streiten darüber, ob das zwischen Ihnen bestehende Arbeitsverhältnis aufgrund einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Arbeitgeberkündigung beendet worden ist, über rückständige Vergütung sowie im Wege der Widerklage von der Beklagten geltend gemachte Schadensersatzansprüche unter anderem wegen der Entwendung von Dieselkraftstoff durch den Kläger.
Die Beklagte betreibt ein Speditionsunternehmen. Sie verfügt über eine LKW-Flotte von ca. 115 Fahrzeugen.
Der 19XX geborene, verheiratete und 1 Kind unterhaltsverpflichtete Kläger ist seit 2013 bei der Beklagten als Lkw-Fahrer zu einem Bruttomonatsentgelt von zuletzt 2.500,00 EUR beschäftigt. Zusätzlich erhielt der Kläger vermögenswirksame Leistungen in Höhe von 13,30 Euro brutto sowie eine Zusatzzahlung in Höhe von 200,00 Euro brutto und Spesen. Im Monat September 2018 betrug sein Gesamtbruttogehalt 3.181,30 EUR (s. Bl. 29 d. A.). Der Kläger war bereits von 2008-2013 bei der Beklagten beschäftigt, zwischenzeitlich 2013 war er für einen anderen Arbeitgeber tätig.
Die LKWs der Beklagten waren ursprünglich mit verschließbaren Tankdeckeln versehen. Allerdings hat die Beklagte am LKW des Klägers, wie auch an den LKWs der anderen von ihr beschäftigten Fahrer, die Verriegelungstechnik der Tankanlage entfernen lassen, weil im Falle von Treibstoffdiebstahl die Schäden an der Tankanlage bei Öffnung mit Gewalt höher wären als die Verluste durch die Treibstoffeinbußen. Die LKWs der Beklagten sind mit sogenannten Fleetboards ausgestattet. Damit werden die Fahrzeugdaten, wie z. B. der Kraftstoffverbrauch, die Standzeit und die Kilometerleistung erfasst. Die Daten werden der jeweils eingesteckten Fahrerkarte und damit dem Fahrzeugführer zugeordnet. Der Standort des Fahrzeuges wird GPS gestützt auch dann erfasst, wenn der LKW während der Standzeit geparkt ist. Die Sensoren, die den Tankinhalt erfassen sind auch die, die die Tankanzeige im Fahrzeug steuern. Die Daten des Fleetboards werden per Mobilfunk an die Beklagte übertragen und dort per Computer erfasst und gespeichert. Innerhalb des Fahrzeugs wird der Tankinhalt mit einer analogen Tankanzeige dargestellt. Die Kapazität eines LKW-Tanks beträgt durchschnittlich 660 Liter. Die Betankung des Fahrzeuges erfolgt durch den Fahrer und wird per Tankkarte von ihm unmittelbar bezahlt.
Die Beklagte hat für die bei ihr beschäftigten Fahrer eine Prämie ausgelobt, wenn sie durch kraftstoffsparende Fahrweise Kraftstoffe einsparen.
In der Vergangenheit kam es bei den LKWs der Beklagten wiederholt zu unbefugten Kraftstoffentnahmen. Wenn Fahrer dementsprechende Meldungen an die Beklagte erstatteten, hat diese in einigen Fällen zwischen 2013 bis 2016 Strafanzeige erstattet bzw. die jeweilige Auslandsbehörde informiert. Etwaige strafrechtliche Ermittlungen wurden allerdings eingestellt, jeweils mangels Tatverdachts.
Die Tankkapazität der LKW der Beklagten beträgt ca. 660 Liter. Der Kläger betankt den von ihm geführten LKW selbst und zahlt per Tankkarte.
Der Kläger parkte den LKW regelmäßig an seinem Wohnhaus in A-Stadt bzw. in unmittelbarer Nähe in A-Stadt in V.. Von dort trat der Kläger unmittelbar die jeweilige Folgefahrt an. Die entsprechenden Standzeiten wurden durch das Fleetboard-System erfasst. Während dieser und weiterer, nicht am Wohnort des Klägers erfasster Standzeiten ergaben sich bei Auswertung der durch das Fleetboard-System erfassten Tank...