Entscheidungsstichwort (Thema)

Unwirksame betriebsbedingte Kündigung im gemeinschaftlichen Betrieb zweier Unternehmen bei unzureichenden Darlegungen der Arbeitgeberin zu anderweitigen Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten im Gemeinschaftsbetrieb

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Annahme eines ausnahmsweise arbeitgeberübergreifenden Kündigungsschutzes setzt voraus, dass sich zwei oder mehrere Unternehmen zur gemeinsamen Führung eines Betriebs (zumindest stillschweigend) rechtlich verbunden haben; ein derartiger Gemeinschaftsbetrieb für mehrere rechtlich selbständige Unternehmen liegt vor, wenn die beteiligten Unternehmen einen einheitlichen Leitungsapparat zur Erfüllung der in der organisatorischen Einheit zu verfolgenden arbeitstechnischen Zwecke geschaffen haben, wobei insbesondere die wesentlichen Arbeitgeberfunktionen in den sozialen und personellen Angelegenheiten des Betriebsverfassungsgesetzes für die beteiligten Unternehmen institutionell vereinheitlicht sein müssen.

2. Eine Führungsvereinbarung für einen Gemeinschaftsbetrieb kann auch stillschweigend geschlossen werden und sich aus den tatsächlichen Umständen ergeben; eine unternehmerische Zusammenarbeit allein reicht jedoch nicht aus.

3. Der Annahme eines gemeinsamen Betriebes steht nicht entgegen, dass die beteiligten Unternehmen unterschiedlich arbeitstechnische Zwecke verfolgen, sofern dies im Rahmen einer Organisationseinheit geschieht; die arbeitstechnischen Zwecke müssen weder identisch sein noch zueinander in funktionellem Zusammenhang (etwa in Form einer Hilfsfunktion) stehen.

4. Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass im Kündigungszeitpunkt ein gemeinsamer Betrieb bestanden hat, trägt grundsätzlich der Arbeitnehmer; mit Rücksicht auf seine typischerweise mangelhafte Kenntnis vom Inhalt der zwischen den beteiligten Unternehmen getroffenen vertraglichen Vereinbarungen kommen ihm dabei Erleichterungen zugute, so dass der Arbeitnehmer seiner Darlegungslast in einem ersten Schritt genügt, wenn er äußere Umstände aufzeigt, die für die Annahme sprechen, dass sich mehrere Unternehmen über die gemeinsame Führung eines Betriebes unter einem einheitlichen Leitungsapparat geeinigt haben.

5. Zu den Anzeichen für die Annahme eines Gemeinschaftsbetriebs gehören etwa die gemeinsame Nutzung der technischen und immateriellen Betriebsmittel, die gemeinsame räumliche Unterbringung, die personelle, technische und organisatorische Verknüpfung der Arbeitsabläufe, das Vorhandensein einer unternehmensübergreifenden Leitungsstruktur zur Durchführung der arbeitstechnischen Zwecke, insbesondere zur Wahrnehmung der sich aus dem Direktionsrecht der Arbeitgeberin ergebenden Weisungsbefugnisse; hat der Arbeitnehmer derartige Umstände schlüssig vorgetragen, hat die Arbeitgeberin hierauf gemäß § 138 Abs. 2 ZPO im Einzelnen darzulegen, welche rechtserheblichen Umstände gegen die Annahme eines einheitlichen Betriebes sprechen.

6. Bei einer betriebsbedingten Kündigung in einem Gemeinschaftsbetrieb ist Bezugspunkt für den Umfang des allgemeinen Kündigungsschutzes nach § 1 KSchG der von mehreren Unternehmen gebildete einheitliche Betrieb oder Gemeinschaftsbetrieb; für den Wegfall des Beschäftigungsbedarfs (§ 1 Abs. 2 Satz 1 Alt. 3 KSchG) und für die anderweitigen Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten (§ 1 Abs. 2 Satz 2 KSchG) kommt es demnach auf die Verhältnisse im Gemeinschaftsbetrieb an.

 

Normenkette

KSchG § 1 Abs. 2, § 23 Abs. 1; ZPO § 138 Abs. 2; KSchG § 1 Abs. 2 S. 1 Alt. 3

 

Verfahrensgang

ArbG Ludwigshafen (Entscheidung vom 23.09.2014; Aktenzeichen 3 Ca 361/13)

 

Tenor

  • I.

    Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen am Rhein vom 23.09.2014 - 3 Ca 361/13 - abgeändert:

    1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 31. Januar 2013 nicht aufgelöst ist.
    2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des vorliegenden Rechtsstreits als Starkstromelektriker zu den bisherigen Bedingungen weiterzubeschäftigen.
  • II.

    Die Kosten des Rechtsstreits (1. und 2. Instanz) trägt die Beklagte.

  • III.

    Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.

Der 1957 geborene, verheiratete Kläger war bei der Beklagten seit 06. November 1984 ununterbrochen als Starkstromelektriker beschäftigt. Gegenstand des Unternehmens der Beklagten ist die Durchführung von Elektroarbeiten. In den Geschäftsräumen der Beklagten ist auch die C. GmbH ansässig, die sich mit Heizungs-, Sanitär- und Lüftungsarbeiten befasst. Alleiniger Geschäftsführer sowohl der Beklagten als auch der C. GmbH ist Herr K. C., der auch Vermieter der Geschäftsräume ist. Im Zeitpunkt der streitgegenständlichen Kündigung waren bei der Beklagten neben dem Kläger unstreitig die Arbeitnehmer R. Z., J. F. und A. C. tätig, während die Parteien im Übrigen darüber streiten, ob daneben noch weitere Arbeitnehmer bei der Beklagten beschäftigt sind. Im Kündigungszeitpunkt beschäftigten die Beklagte...

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