Entscheidungsstichwort (Thema)
Abmahnung. Interessenabwägung. Kündigung, außerordentliche. Verhältnismäßigkeit. Außerordentliche Kündigung wegen Urkundenfälschung ohne Eigennutz
Leitsatz (redaktionell)
Die Abänderung eines unterzeichneten Vertragstextes durch den Arbeitnehmer ohne Fälschungsabsicht rechtfertigt nur nach vorheriger Abmahnung eine Kündigung.
Normenkette
BGB § 626 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Mainz (Urteil vom 30.01.2008; Aktenzeichen 10 Ca 1978/07) |
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 30. Januar 2008, Az.: 10 Ca 1978/07, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung der Beklagten vom 17.09.2007 sowie über die Weiterbeschäftigung des Klägers und Zahlungsansprüche aus Annahmeverzug.
Der Kläger (geb. am 08.07.1955, ledig) ist seit dem 15.08.1970 im Betrieb der Beklagten als Personalleiter zu einem Bruttomonatsgehalt von zuletzt EUR 3.947,90 angestellt. Die Beklagte beschäftigt ca. 120 Arbeitnehmer; es besteht ein Betriebsrat.
Am 27.08.2007 unterzeichnete der Geschäftsführer der Beklagten den schriftlichen Arbeitsvertrag (Bl. 40-45 d. A.) für die gewerbliche Arbeitnehmerin L. K., die ab dem 01.10.2007 unbefristet eingestellt werden sollte. Der Vertragstext bestand aus sechs Seiten, die mit einer Heftklammer fest verbunden waren. Auf Seite 1 des Vertragstextes heißt es u.a.:
„§ 1 Tätigkeit und Änderungen der Tätigkeit
(1) |
Der Arbeitnehmer wird im gewerblichen Bereich wie folgt eingestellt: |
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Betriebsabteilung: |
Metallkapselbereich/ Musterfertigung |
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Tätigkeit: |
Fertigung von Musterkapseln |
(2) |
Der Arbeitgeber hat das Recht Art und Umfang der dem Arbeitnehmer zugewiesenen Aufgaben jederzeit in einem zumutbaren Rahmen einzuschränken oder zu erweitern und dem Arbeitnehmer auch andere gleichwertige zumutbare, seinen Fähigkeiten und Berufskenntnissen entsprechende Aufgaben zu übertragen. …” |
Der Technische Leiter der Beklagten leitete dem Betriebsrat gemäß § 99 BetrVG den Vertragstext mit der Bitte um Zustimmung zur beabsichtigten Einstellung der Arbeitnehmerin zu. Der Betriebsrat stimmte der beabsichtigten Einstellung am 06.09.2007 unter der Voraussetzung zu, dass in den Arbeitsvertrag folgender Zusatz aufgenommen wird: „Mithilfe in Lackherstellung bei Bedarf”.
Daraufhin tauschte der Kläger mit Wissen des Technischen Leiters Seite 1 des Vertragstextes ohne Rücksprache mit dem Geschäftsführer aus und ergänzte die Klausel in § 1 (1) um den vom Betriebsrat geforderten Zusatz wie folgt:
„§ 1 Tätigkeit und Änderungen der Tätigkeit
(1) |
Der Arbeitnehmer wird im gewerblichen Bereich wie folgt eingestellt: |
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Betriebsabteilung: |
Metallkapselbereich/ Musterfertigung |
|
Tätigkeit: |
Fertigung von Musterkapseln |
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Desweiteren verpflichtet sich Frau K., wenn dies betrieblich erforderlich wird, auch in der Abteilung Lackherstellung zu arbeiten. |
(2) |
…” |
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Der so abgeänderte Arbeitsvertrag wurde der Arbeitnehmerin K. zur Unterschrift vorgelegt, die den eingefügten Zusatz am 10.09.2007 beanstandete. Der Kläger räumte in nachfolgenden Gesprächen vom 11. und 12.09.2007 die Abänderung der Vertragsurkunde ein und erklärte, ihm sei bewusst, dass er einen Fehler begangen habe, dies sei ohne böse Absicht geschehen, es werde in Zukunft nicht mehr vorkommen.
Nach Anhörung des Betriebsrates, der der Kündigung widersprochen hat, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 17.09.2007 fristlos, hilfsweise ordentlich zum 30.04.2008. Gegen diese Kündigung wendet sich der Kläger mit seiner am 24.09.2007 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage. Er begehrt außerdem seine Weiterbeschäftigung und die Zahlung von Annahmeverzugslohn für die Monate September und Oktober 2007.
Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,
- festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis weder durch die mit Schreiben der Beklagten vom 17.09.2007 ausgesprochene außerordentliche Kündigung aufgelöst worden ist noch durch die mit gleichem Schreiben hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung zum 30.04.2008 aufgelöst wird,
- die Beklagte zu verurteilen, ihn zu unveränderten Bedingungen als Personalleiter bis zum rechtskräftigen Abschluss des vorliegenden Rechtsstreits weiterzubeschäftigen,
- die Beklagte zu verurteilen, an ihn EUR 5.695,40 brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus EUR 1.747,50 brutto seit dem 01.10.2007 und aus weiteren EUR 3.947,90 brutto seit dem 01.11.2007 zu zahlen.
Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht Mainz hat mit Urteil vom 30.01.2008 (Bl. 79-92 d. A.) der Klage stattgegeben und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, das Arbeitsverhältnis sei weder durch die außerordentliche noch durch die hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten aufgelöst worden. Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (ultima-ratio-Prinzip) hätte eine Abmahnung als Reaktion auf das Fehlverhalten...