Entscheidungsstichwort (Thema)
Verdachtskündigung wegen Vereinnahmung von Geld. Interessenabwägung bei der Verdachtskündigung. Keine Frist des § 626 Abs. 2 BGB für Verdachtskündigung. Unvollständige Anhörung des Betriebsrats. Übermittlung der Stellungnahme des Betriebsrats an den Arbeitgeber per Fax
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Verdachtskündigung ist als ordentliche sozial gerechtfertigt, weil der dringende Verdacht der Vereinnahmung von Geld besteht. Es liegen Tatsachen vor, die auch eine außerordentliche, fristlose Kündigung rechtfertigen würde.
2. Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB gilt nicht für Verdachtskündigungen. Aber ein zu langes Abwarten mit dem Ausspruch der Verdachtskündigung begründet die Annahme, es sei doch noch kein notwendiger Vertrauensverlust entstanden.
3. Die Anhörung des Betriebsrats erfolgt nicht ordnungsgemäß bei Mitteilung unvollständiger oder unrichtiger Angaben.
4. Der Betriebsrat ist nicht ordnungsgemäß angehört, wenn der Arbeitgeber dessen Stellungnahme nicht zur Kenntnis nimmt.
5. Die Zustellung der Stellungnahme des Betriebsrats an den Arbeitgeber per Fax ist rechtmäßig.
Normenkette
BetrVG § 102 Abs. 1; BGB § 130 Abs. 1 S. 1; KSchG § 1 Abs. 1-2; ZPO § 286 Abs. 1; KSchG § 4; GG Art. 12 Abs. 1; BGB § 626 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Mainz (Entscheidung vom 10.01.2019; Aktenzeichen 7 Ca 635/18) |
Tenor
I.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz - Auswärtige Kammern Bad Kreuznach - vom 10. Januar 2019 - 7 Ca 635/18 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
II.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die ordentliche Kündigung des zwischen ihnen bestehenden Arbeitsverhältnisses durch die Beklagte.
Der 1977 geborene Kläger ist seit dem 01. August 2012 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin als Haustechniker zu einem Bruttomonatsentgelt von zuletzt 2.037,00 EUR beschäftigt (vgl. Arbeitsvertrag Anlage K 1 zur Klageschrift, Bl. 4 - 7 dA.). Mit Schreiben vom 05. März 2018 (Anlage K 4 Bl. 11 - 19 dA.) informierte die Rechtsvorgängerin der Beklagten, die A. Klinik S. GmbH den Kläger darüber, dass der Bereich Technik aus der A. Klinik S. GmbH, Betrieb A. K.-S.-Klinik (nachfolgend: A. K.-S.-Klinik) ausgegliedert und auf die C. (Beklagte) übertragen werde. Zum 01. April 2018 ging das Arbeitsverhältnis des Klägers auf die Beklagte über. Die Beklagte ist eine konzerneigene Dienstleistungsgesellschaft, die im Rahmen von Dienstleistungsverträgen die einzelnen A. Kliniken in allen Bereichen der Technik unterstützt und an den jeweiligen Standorten eigene Betriebe vorhält, wobei die Personalsachbearbeitung in der Personalabteilung der Beklagten in H. erfolgt. Zuvor hatte die Zeugin E., Assistentin der Geschäftsführung der A. K.-S.-Klinik, seit Januar 2017 bis zu dem Betriebsübergang u. a. auch die Personalakte des Klägers geführt. Der Bereich Haustechnik der Beklagten am Standort der K.-S.-Klinik in B-Stadt besteht aus fünf Hausmeistern, wobei Herr K. Leiter und der Kläger stellvertretender Leiter der Haustechnik für die Klinik ist. Dem Kläger obliegt (streitig, ob als Hauptverantwortlicher) u. a. die Bestückung von Getränke- und Snack-Automaten, die Entnahme des eingeworfenen Geldes sowie die Einzahlung des entnommenen Bargeldes bei der Bank.
Anfang August 2018 fiel der Geschäftsführerin der A. K.-S.-Klinik, Frau A. T., auf, dass die Erlöse "Cafeteria" und "Kiosk" im Vergleich zum Vorjahr 2017 stark rückläufig waren trotz der Mitte 2017 aufgestellten Snack-Automaten, wobei eine genauere Überprüfung ergab, dass 2018 lediglich einmal 131,26 EUR netto (brutto 156,20 EUR) am 27. Februar 2018 auf das entsprechende Bankkonto eingezahlt worden waren und dem ein Einkauf an Getränken von 2.882,41 EUR bei einer zweimal wöchentlich erfolgenden Auffüllung der Automaten mit Getränken gegenüberstand. Da etwaige Buchungsfehler ausgeschlossen werden konnten, ließen sich die Diskrepanzen zwischen Wareneinkauf und Automatenerlösen nicht aufklären. Aufgrund dessen entzog die Zeugin T. den Mitarbeitern der Beklagten die Schlüssel zu den Automaten und nahm die Leerungen selbst gemeinsam mit der Zeugin E. vor, so dass lediglich noch die Einzahlung des Geldes bei der Bank durch einen Mitarbeiter der Haustechnik erfolgte. Am 06. August 2018 führte die Zeugin T. mit dem Kläger als stellvertretendem Abteilungsleiter - während des Urlaubs des Abteilungsleiters K. - ein Gespräch betreffend der Diskrepanzen zwischen Wareneinsatz und Erlösen aus der Automatenbewirtschaftung, dessen Inhalt streitig ist.
Am 23. August 2018 holte der Kläger gegen 10.00 Uhr bei der Zeugin E., welche die urlaubsbedingt abwesende Zeugin S. vertrat, einen aus der Automatenleerung stammenden Bargeldbetrag ab, wobei aufgrund der nachfolgenden Einzahlung durch den Kläger auf dem Geschäftskonto der K.-S.-Klinik bei der Bank 189,20 EUR gebucht wurden. 2,00 EUR gab der Kläger als vom Automaten nicht angenommen zurück. Da nachfolgend eine Differenz von 44,00 EUR zu dem nach Vortrag der Beklagten morgens ge...