Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirksamkeit einer hilfsweise ordentlich ausgesprochenen arbeitgeberseitigen Kündigung wegen Entzugs der Fahrerlaubnis. Zahlung einer sogenannten Corona-Prämie
Leitsatz (redaktionell)
Die Entziehung der Fahrerlaubnis ist ein Umstand, der geeignet ist, einen (auch wichtigen) Grund zur (außerordentlichen) personenbedingten Kündigung abzugeben. Daran ändert es auch nicht, dass der Vorfall lange Zeit zurückliegt und der Arbeitnehmer seither unbeanstandet am Straßenverkehr teilgenommen hatte.
Normenkette
BGB § 611 a Abs. 2, § 612 Abs. 1; KSchG § 1 Abs. 2 S. 1; StGB § 69; StPO § 111a
Verfahrensgang
ArbG Mainz (Entscheidung vom 27.07.2023; Aktenzeichen 5 Ca 629/22) |
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz - Auswärtige Kammern Bad Kreuznach - Az.: 5 Ca 629/22 - vom 27.07.2023 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten im Berufungsverfahren noch über die Wirksamkeit einer hilfsweise ordentlich ausgesprochenen arbeitgeberseitigen Kündigung, über die Zahlung einer sogenannten Corona-Prämie sowie einen Überstundenvergütungsanspruch.
Der 1970 geborene Kläger war seit dem 01.01.2021 bei der Beklagten auf Grundlage eines schriftlichen Arbeitsvertrages vom 01.01.2021 als Kraftfahrer beschäftigt. Auf den Inhalt des Arbeitsvertrages vom 01.01.2021 wird Bezug genommen (vgl. Bl. 31 ff. d. A.). Die Beklagte beschäftigt regelmäßig mehrere hundert Mitarbeiter an verschiedenen Standorten.
Vor dem Amtsgericht Saarbrücken wurde gegen den Kläger ein Strafverfahren mit dem Az. 123 wegen des unerlaubten Entfernens vom Unfallort am 22.01.2021 gemäß § 142 StGB geführt. Ihm wurde vorgeworfen, an diesem Tag gegen 5:46 Uhr mit einem Lastkraftwagen der Beklagten, Kennzeichen XY, und dem Aufliegerkennzeichen AB auf der Autobahn A6 von S. Richtung M. beim Spurwechsel auf die Abfahrtspur ein Kraftfahrzeug touchiert und dadurch beschädigt zu haben.
Unter dem 17.10.2022 wurde vom Amtsgericht Saarbrücken ein Strafbefehl erlassen. Gegen den Kläger wurde eine Geldstrafe in Höhe von 50 Tagessätzen verhängt mit einem Tagessatz iHv. 30,00 €. Des Weiteren wurde dem Kläger die Fahrerlaubnis entzogen und der Führerschein eingezogen. Es wurde die Auflage erteilt, dass die Verwaltungsbehörde dem Kläger für die Dauer von sieben Monaten keine neue Fahrerlaubnis erteilen dürfe. Auf den Inhalt des Strafbefehls vom 17.10.2022 (Bl. 21 ff. d. A.) wird Bezug genommen.
Zeitgleich erging ein Beschluss des Amtsgerichts Saarbrücken, wonach dem Kläger gemäß § 111a StPO die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen wurde. Auf den Beschluss vom 17.10.2022 (Bl. 26 ff. d. A.) wird verwiesen.
Der Kläger informierte die Beklagte am 04.11.2022 per WhatsApp über den Strafbefehl. In einem persönlichen Gespräch am 09.11.2022 teilte er der Beklagten mit, dass er möglicherweise seinen Führerschein abgeben müsse und überreichte den Strafbefehl im Original, der bei ihm am 04.11.2022 eingegangen war. Noch am selben Tag teilte der Kläger etwa gegen 18:15 Uhr mit, dass er mit sofortiger Wirkung kein Fahrzeug fahren dürfe.
Die Beklagte sprach daraufhin eine außerordentliche und fristlose Kündigung vom 10.11.2022 zum 11.11.2022, hilfsweise fristgerecht zum nächstmöglichen Zeitpunkt aus.
Der Kläger hat gegen den Strafbefehl Einspruch eingelegt und um Prüfung gebeten, ob die vorläufige Fahrerlaubnisentziehung aufgehoben werden könne (vgl. Bl. 29 f. d. A.). Am 13.12.2022 hat das Amtsgericht Saarbrücken den Beschluss vom 17.10.2022 über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis aufgehoben (vgl. Bl. 48 d. A.).
Mit am 11.11.2022 beim Arbeitsgericht eingegangener, der Beklagten am 18.11.2022 zugestellten Klageschrift wendet sich der Kläger gegen die außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung. Er erweiterte seine Klage mit am 27.03.2023 beim Arbeitsgericht eingegangenem, der Beklagten am 30.03.2023 zugestellten Schriftsatz um einen Anspruch auf Zahlung einer Corona-Prämie für das Jahr 2022 sowie mit am 02.05.2023 beim Arbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz um einen Anspruch auf Abrechnung und Auszahlung von Überstunden.
Zum Zeitpunkt 28.11.2022 befanden sich auf der Homepage der Beklagten diverse Stellenangebote, auf die Seite wird verwiesen (vgl. Bl. 36 d. A.).
Im erstinstanzlichen Gütetermin am 02.03.2023 wies der Klägervertreter darauf hin, dass der Beschluss nach § 111a StPO durch Beschluss des Amtsgerichts Saarbrücken vom 13.12.2022 aufgehoben worden sei. Der Kläger sei zwischenzeitlich wieder im Besitz der Fahrerlaubnis, das Einspruchsverfahren gegen den Strafbefehl laufe noch.
Der Kläger hat vorgetragen,
er habe von dem Vorfall am 22.01.2021 nichts bemerkt. Er sei mit seinem Lkw frühmorgens von der Autobahn abgeleitet worden und insofern davon ausgegangen, dass sich die entsprechenden Hinweise darauf bezogen hätten, dass er der Ableitung hätte folgen sollen. Einen entsprechenden Haltebefehl habe es nicht gegeben bzw. ein solcher sei für ihn in keiner Weise erkennbar...