Entscheidungsstichwort (Thema)

Antragstellung. Behinderung. Kündigung. Sonderkündigungsschutz des schwerbehinderten Arbeitnehmers

 

Leitsatz (amtlich)

1) § 90 Abs. 2 a 2. Alternative SGB IX ist gemäß § 68 Abs. 1, 3 SGB IX auch dann anzuwenden, wenn der Arbeitnehmer einen Gleichstellungsantrag gestellt hat, über den bei Kündigungsausspruch noch nicht entschieden war.

2) Nach § 90 Abs. 2 a 2. Alternative SGB IX greift der Sonderkündigungsschutz bei beantragter Anerkennung als Schwerbehinderter oder bei beantragter Gleichstellung nur dann ein, wenn bei rechtzeitiger und ordnungsgemäßer Antragstellung des Arbeitnehmers das Versorgungsamt die Feststellung der Schwerbehinderung bereits zum Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs getroffen bzw. die Bundesagentur für Arbeit den Gleichstellungsantrag positiv beschieden hätte.

3) Der Sonderkündigungsschutz der §§ 85 ff. SGB IX beginnt daher vor der behördlichen Feststellung der Schwerbehinderung bzw. der Gleichstellung frühestens nach Ablauf der kürzesten Frist des § 14 Abs. 2 SGB IX, somit frühestens drei Wochen nach Antragstellung.

 

Normenkette

SGB IX § 90 Abs. 2a

 

Verfahrensgang

ArbG Kaiserslautern (Urteil vom 10.05.2005; Aktenzeichen 5 Ca 1049/04)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 01.03.2007; Aktenzeichen 2 AZR 217/06)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern – Auswärtige Kammern Pirmasens – vom 10.05.2005, AZ: 5 Ca 1049/04, wie folgt abgeändert:

  1. Die Klage wird abgewiesen.
  2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

II. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.

Die am 08.12.1957 geborene, verheiratete und einem Kind zum Unterhalt verpflichtete Klägerin war bei der Beklagten seit dem 02.01.1995 als Chemiearbeiterin beschäftigt. Ihr Arbeitsentgelt belief sich zuletzt auf ca. 2.300,– EUR brutto monatlich. Die Beklagte beschäftigt regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer ausschließlich der Auszubildenden.

Ab dem Jahre 1997 hatte die Klägerin folgende krankheitsbedingte Fehlzeiten:

1997

26.02.1997 bis 28.02.1997

01.10.1997 bis 02.11.1997

16.12.1997 bis 19.12.1997

1998

05.01.1998 bis 11.02.1998

06.03.1998 bis 05.04.1998

08.04.1998 bis 01.06.1998

21.09.1998 bis 08.11.1998

1999

05.03.1999

16.04.1999 bis 16.05.1999

18.10.1999 bis 31.12.1999

2000

04.02.2000 bis 31.12.2000

2001

01.01.2001 bis 20.05.2001

2002

06.02.2002 bis 16.02.2002

28.02.2002 bis 30.06.2002

09.10.2002 bis 21.10.2002

07.11.2002 bis 30.11.2002

2003

16.05.2003

13.06.2003

07.07.2003 bis 21.07.2003

16.09.2003 bis 18.10.2003

14.11.2003

05.12.2003 bis 31.12.2003

2004

06.01.2004 bis 25.01.2004

06.02.2004

05.03.2004

02.04.2004

03.05.2004 bis 14.05.2004

09.06.2004

21.06.2004 bis 21.07.2004

18.08.2004

11.10.2004 bis 23.10.2004

25.10.2004 bis 29.11.2004

Durch diese Fehlzeiten entstanden der Beklagten an Lohnfortzahlungskosten einschließlich der Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung insgesamt 34.792,51 EUR; im Einzelnen:

1997:

2.777,10 EUR

1998:

6.121,62 EUR

1999:

6.306,94 EUR

2000:

0,00 EUR

2001:

0,00 EUR

2002:

7.113,92 EUR

2003:

6.266,15 EUR

2004:

6.206,78 EUR

Wegen der Zusammensetzung dieser Beträge im Einzelnen wird auf die Tabellen im Schriftsatz der Beklagten vom 24.02.2005 (dort Seiten 2 und 3 = Bl. 28 und 29 d. A.), hinsichtlich der von der Klägerin mitgeteilten Krankheitsursachen der letzten Jahre auf die Aufstellungen der A. vom 17.03.2005 (Bl. 58 bis 61 d. A.) Bezug genommen.

Mit Schreiben vom 29.11.2004, hinsichtlich dessen Inhalts auf Bl. 35 bis 38 d. A. Bezug genommen wird, leitete die Beklagte das Anhörungsverfahren zu einer beabsichtigten ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin zum 31.03.2005 ein. Der Betriebsrat widersprach der beabsichtigten Kündigung am 06.12.2004.

Mit Schreiben vom 06.12.2004 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 31.03.2005. Hiergegen richtet sich die von der Klägerin am 16.12.2004 beim Arbeitsgericht eingereichte Kündigungsschutzklage.

Bereits am 03.12.2004 beantragte die Klägerin, bei der ein Grad der Behinderung von 40 anerkannt war, einem Schwerbehinderten gleichgestellt zu werden. Von diesem Antrag wurde die Beklagte mit Schreiben der Bundesagentur für Arbeit vom 10.12.2004, welches ihr am 14.12.2004 zuging, in Kenntnis gesetzt. Der Gleichstellungsantrag der Klägerin wurde mit Bescheid der Bundesagentur für Arbeit vom 05.01.2005 (zunächst) abgelehnt. Hiergegen hat die Klägerin fristgerecht Widerspruch eingelegt und die Beklagte hiervon mit Schreiben vom 03.02.2005 in Kenntnis gesetzt. Die Bundesagentur für Arbeit hat dem Widerspruch der Klägerin mit Bescheid vom 07.04.2005 abgeholfen und dem Gleichstellungsantrag mit Wirkung ab dem 03.12.2004 stattgegeben.

Die Klägerin hat erstinstanzlich vorgetragen, eine negative Zukunftsprognose hinsichtlich ihrer krankheitsbedingten Fehlzeiten könne nicht gestellt werden. Für die Zeit bis einschließlich Mai 2003 werde durch ein sozialgerichtlich veranlasstes Gutachten vom 05.06.2003 (Bl. 53 bis 56 d. A.) belegt, dass sie in der Lage sei, ihr...

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