Entscheidungsstichwort (Thema)
Unwirksame außerordentliche Kündigung eines Kraftfahrers bei unzureichenden Darlegungen der Arbeitgeberin zur Prämienvergütung und einem damit verbundenen Arbeitszeitbetrug. Arbeitsgerichtliche Überprüfung der Kündigung unter dem Blickwinkel der Tat- und Verdachtskündigung
Leitsatz (redaktionell)
1. Allein der Umstand, dass die Arbeitgeberin eine Kündigung lediglich mit dem dringenden Verdacht einer Pflichtverletzung begründet und im Prozess keinen Tatvorwurf als Kündigungsgrund nachschiebt, schließt es nicht aus, dass die Gerichte die Pflichtverletzung aufgrund entsprechender Tatsachen als nachgewiesen ansehen; demzufolge hat eine Überprüfung der Rechtswirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung sowohl unter dem Gesichtspunkt der Tat- wie auch der Verdachtskündigung zu erfolgen.
2. Besteht die Vergütung eines Kraftfahrers für seine Arbeitsleistung in einer Arbeitszeitkomponente und einer Prämienkomponente und wirft die Arbeitgeberin dem Arbeitnehmer vor, dass er nach dem Ende der ihm zugewiesenen Fahrten die Standzeiten als Arbeitszeit angegeben hat, so dass diese als Arbeitszeit vergütet wurden, trägt die Arbeitgeberin aber zugleich selbst vor, dass durch die Angabe dieser Zeiten als Arbeitszeit diese Zeiten prämienschädlich und damit bezogen auf die Höhe der geschuldeten Prämie berücksichtigt wurden, ist ein Verhalten des Arbeitnehmers zum Nachteil der Arbeitgeberin nicht feststellbar, wenn sich aus dem gesamten Vorbringen nicht entnehmen lässt, wie und aufgrund welcher Rechtsgrundlagen sich die Vergütung des Arbeitnehmers zusammensetzt, wie sich die verschiedenen Komponenten im Einzelnen inhaltlich bestimmen, wie genau zwischen der Vergütung für die Arbeitszeit und der Vergütung in Form einer Prämie unterschieden wird und welche Auswirkungen in beziffertem Ausmaß dies hinsichtlich der von der Arbeitgeberin beanstandeten Angabe der Zeiten nach der letzten Tour als Arbeitszeit (statt als reine Standzeit) hat.
Normenkette
KSchG § 1; BGB §§ 626, 626 Abs. 1; KSchG § 1 Abs. 2 S. 1 Alt. 2; ZPO § 138 Abs. 1, § 286 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Trier (Entscheidung vom 15.01.2014; Aktenzeichen 4 Ca 836/13) |
Tenor
- Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Trier vom 15.01.2014 - 4 Ca 836/13 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
- Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits streiten um die Rechtswirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Verdachtskündigung.
Der Kläger ist seit dem Jahr 1990 als Lkw-Fahrer bei der Beklagten, einer Lebensmittelhandelskette, beschäftigt. Ursprünglich wurde der Kläger für den Standort der Beklagten in Z eingestellt. Nach dessen Schließung wurde der Kläger dem Standort Y zugeteilt. Da der Kläger den von ihm geführten Lkw absprachegemäß jedoch in Z stationiert hat und von dort aus seine Routen beginnt, nimmt er nicht an dem in Y eingerichteten elektronischen Zeiterfassungssystem der Beklagten teil.
Während seiner arbeitstäglichen Fahrten, die tagsüber oder nachts, in dem vorliegend streiterheblich maßgeblichen Zeitraum aber ganz überwiegend nachts durchgeführt wurden/werden, fährt der Kläger zunächst von Z aus nach Y, um dort anhand von Ladelisten die auszuliefernde Ware in den Lkw zu verladen. Nach Auslieferung der Waren fährt er sodann den Lkw erneut nach Z.
Es ist Aufgabe des Klägers, in eine sogenannte Ladeliste Beginn und Ende der Tour, Name und Anschrift der zu beliefernden Kunden, An- und Abfahrtszeiten bei den Kunden sowie seine Pausenzeiten einzutragen. Im Lkw befinden sich als elektronische Erfassungssysteme sowohl ein Fleetboard als auch die dem Kläger zugeordnete Fahrerkarte. Während das Fleetboard den Standort des Fahrzeugs nebst dazugehöriger Uhrzeiten dokumentiert, erfasst die Fahrerkarte Lenkzeiten, Arbeitszeiten (Be- und Entladen) und Ruhezeiten. Lenk- und Arbeitszeit werden automatisch gespeichert, die Ruhezeit gibt der Fahrer manuell ein. Die Lohnabrechnung des Klägers erfolgt anhand der Daten der Fahrerkarte. Die Ladeliste dient abrechnungsbezogen nur der Ermittlung von Prämien.
Im Januar oder Februar 2013 wandte sich der Kläger an den Betriebsrat Y, da er festgestellt hatte, dass sich seine Prämienzahlungen verringert hatten, wofür er keine Erklärung fand. Er bat um Überprüfung. Nachdem der Betriebsrat keine Auffälligkeiten bzw. auch keine Erklärungen für die Prämienreduzierung feststellen konnte, leitete dieser das Begehren des Klägers an die Beklagte weiter. Die Beklagte erstellte sodann einen Abgleich der Daten des Klägers aus der Ladeliste, dem Fleetboard und der Fahrerkarte. Dabei stellt sie fest, dass die Zeitangaben der Ladeliste und der Fahrerkarte nicht übereinstimmten. Die Ladeliste enthielt Divergenzen sowohl bezüglich der Uhrzeiten der Kundenanfahrten als auch des Beginns und des Endes der Arbeitszeit. Aus der Fahrerkarte und dem GPS wurde ersichtlich, dass der Lkw im Anschluss an eine Tour regelmäßig eine unterschiedlich lange Standzeit auf dem Parkp...