Entscheidungsstichwort (Thema)

Unwirksame sachgrundlose Befristung des Arbeitsvertrages einer Produktionshelferin in der Automobilzulieferindustrie bei unzureichenden Darlegungen der Arbeitgeberin zum sozialen Überbrückungszweck

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Befristung eines Arbeitsvertrags kann gemäß § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 TzBfG aus in der Person der Arbeitnehmerin liegenden Gründen sachlich gerechtfertigt sein, wenn das Interesse der Arbeitgeberin, aus sozialen Erwägungen mit der betreffenden Arbeitnehmerin nur einen befristeten Arbeitsvertrag abzuschließen, auch angesichts des Interesses der Arbeitnehmerin an einer unbefristeten Beschäftigung schutzwürdig ist; das ist der Fall, wenn es ohne den in der Person der Arbeitnehmerin begründeten sozialen Zweck überhaupt nicht zum Abschluss eines Arbeitsvertrags, auch nicht eines befristeten Arbeitsvertrags gekommen wäre, denn in diesem Fall liegt es auch im objektiven Interesse der Arbeitnehmerin, wenigstens für eine begrenzte Zeit bei dieser Arbeitgeberin einen Arbeitsplatz zu erhalten.

2. Die sozialen Erwägungen im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 TzBfG müssen der überwiegende Beweggrund der Arbeitgeberin sein.

3. An einem sozialen Beweggrund für den Abschluss eines befristeten Arbeitsvertrags fehlt es, wenn die Interessen des Betriebs oder der Dienststelle und nicht die Berücksichtigung der sozialen Belange der Arbeitnehmerin für den Abschluss des Arbeitsvertrags ausschlaggebend waren.

4. Da das für den Abschluss eines Arbeitsvertrags maßgebliche Interesse der Arbeitgeberin regelmäßig dahin geht, sich die Arbeitsleistung der Arbeitnehmerin für unternehmerische Zwecke nutzbar zu machen, handelt es sich bei dem als "Sozialmaßnahme" gedachten Arbeitsvertrag um einen Ausnahmefall, dessen Vorliegen die Arbeitgeberin anhand konkreter und damit nachprüfbarer Tatsachen darlegen und im Bestreitensfall beweisen muss.

5. Das bloße Einverständnis mit dem nur befristeten Vertragsschluss, dokumentiert durch eine Unterschrift, reicht nicht aus, um auf das Vorhandensein eines entsprechenden Wunsches schließen zu können, weil anderenfalls das Sachgrunderfordernis bei jedem bereits abgeschlossenen Arbeitsvertrag nicht mehr kontrolliert zu werden braucht; ein Befristungsgrund liegt im Wunsch der Arbeitnehmerin also nur dann, wenn diese nicht nur einen Arbeitsplatz zu erhalten wünscht sondern ihr Gestaltungsinteresse gerade die Befristung umfasst, wozu objektive Anhaltspunkte bestehen müssen.

6. Ein rechtlich anerkennenswertes Interesse der Arbeitgeberin an einer sechsmonatigen Befristung kann auch nicht darin gesehen werden, dass die Arbeitgeberin ein Interesse an einer vertrauensvollen Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat hat, der ihr nach ihren Darlegungen "zwischen den Zeilen" angedroht hat, dann an anderer Stelle auch weniger kompromissbereit zu sein.

7. Das Recht der Arbeitgeberin, sich im Befristungsrechtsstreit auch auf andere als im Vertrag genannte Befristungsgründe berufen zu können, ist kein Freibrief, nach Belieben einen falschen Befristungsgrund im schriftlichen Arbeitsvertrag anzugeben; wird im schriftlichen Arbeitsvertrag als Befristungsgrund für die "Zweckbefristung" genannt, dass sich die Verlagerung von Produkten in die USA verschoben hat, spricht dieser Wortlaut deutlich gegen die Behauptung der Arbeitgeberin, dass bei Vertragsschluss ein sozialer Beweggrund tatsächlich vorlag.

 

Normenkette

TzBfG § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 6

 

Verfahrensgang

ArbG Koblenz (Entscheidung vom 07.05.2013; Aktenzeichen 11 Ca 217/13)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts

Koblenz vom 7. Mai 2013, Az. 11 Ca 217/13, abgeändert:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgrund der Befristungsvereinbarung im Arbeitsvertrag vom 20.06.2012 mit Ablauf des 31.12.2012 geendet hat.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob ihr Arbeitsverhältnis aufgrund Befristung am 31.12.2012 geendet hat.

Die Beklagte ist ein Unternehmen der Automobilzulieferindustrie. Sie gehört, wie die Schwestergesellschaft M. und B. KG mit Werken in A. und W., zur X.-Unternehmensgruppe. Die 1966 geborene Klägerin war vom 01.07.2010 bis zum 30.06.2012 bei der Beklagten im Werk C-Stadt als Produktionshelferin zu einem Bruttomonatsentgelt von zuletzt € 2.171,40 befristet beschäftigt. Die Befristung erfolgte ohne Sachgrund und wurde innerhalb der Gesamtdauer von zwei Jahren dreimal verlängert. Die Beklagte beschäftigt knapp 800 Arbeitnehmer; es besteht ein Betriebsrat.

Bevor die Klägerin ab 01.07.2010 mit der Beklagten einen Arbeitsvertrag abgeschlossen hat, war sie als Leiharbeitnehmerin bei dem Zeitarbeitsunternehmen Persona-Data angestellt. Sie wurde in der Zeit vom

03.06.2004 -

31.05.2006

der M. und B. KG

Werk A.,

07.03.2008 -

31.12.2008

der M. und B. KG

Werk W.,

14.09.2009 -

30.06.2010

der Beklagten

Werk C-Stadt,

als Produktionshelferin zur Arbeitsleistung übe...

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