Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirksamkeit einer ordentlichen krankheitsbedingten Kündigung
Leitsatz (redaktionell)
1. Im Falle lang anhaltender Krankheit ist die Kündigung des Arbeitsverhältnisses sozial gerechtfertigt i.S. von § 1 Abs. 2 KSchG, wenn eine negative Prognose hinsichtlich der voraussichtlichen Dauer der Arbeitsunfähigkeit vorliegt, eine darauf beruhende erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interesse festzustellen ist und eine Interessenabwägung ergibt, dass die betrieblichen Beeinträchtigungen zu einer billigerweise nicht mehr hinzunehmende Belastung des Arbeitgebers führen.
2. Für die Voraussetzungen einer krankheitsbedingten Kündigung trifft den Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast gem. § 1 Abs. 2 S. 4 KSchG. Hinsichtlich der negativen Gesundheitsprognose genügt der Arbeitgeber seiner Darlegungslast zunächst, wenn er die bisherige Dauer der Erkrankung sowie die ihm bekannten Krankheitsursachen darlegt. Demgegenüber ist es Sache des Arbeitnehmers, konkret, ggfls. unter Entbindung der Ärzte von der Schweigepflicht, darzutun, dass mit einer früheren Genesung zu rechnen ist. Dann obliegt dem Arbeitgeber der Beweis für die Berechtigung der negativen Prognose, den er in der Regel nur durch ein medizinisches Sachverständigengutachten erbringen kann. Ein Erfahrungssatz des Inhalts, bei lang anhaltender Krankheiten sei für die Zukunft mit ungewisser Fortdauer zu rechnen, besteht nicht.
Normenkette
KSchG § 1 Abs. 1, 2 S. 1
Verfahrensgang
ArbG Kaiserslautern (Entscheidung vom 12.01.2012; Aktenzeichen 2 Ca 409/11) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 12.01.2012 - 2 Ca 409/11 - wird zurückgewiesen.
Der Auflösungsantrag der Beklagten wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit zweier ordentlicher Kündigungen aus krankheitsbedingten Gründen und um Annahmeverzugsvergütung.
Der am 26. Juni 1970 geborene und einem Kind zum Unterhalt verpflichtete Kläger war aufgrund Arbeitsvertrags vom 22. April 2004 (Bl. 9 - 13 d.A.) seit 15. Mai 2004 zunächst befristet und dann unbefristet (Schreiben vom 29. März 2006, Bl. 14 d.A.) als Mitarbeiter im Gruppendienst bei der Beklagten in deren Tagesförderstätte in R. beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden die Vorschriften des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst (TVöD) Anwendung. Der Kläger lebte seit 2009 von seiner damaligen Ehefrau getrennt und ist seit 26. Mai 2012 rechtskräftig geschieden.
Die A., deren Träger die Beklagte ist, sind eine Einrichtung der beruflichen und sozialen Integration für Menschen mit Behinderungen. Gesellschafter der Beklagten sind der Caritasverband für die Diözese S. e.V. sowie die evangelische Heimstiftung Pfalz. In R. unterhalten die A. eine Tagesförderstätte, in der zur Zeit 69 Menschen mit Beeinträchtigungen in acht Gruppen betreut werden. In der Tagesförderstätte als nachschulischer Einrichtung werden Menschen mit schwerster geistiger und mehrfacher Beeinträchtigung, bei der die geistige Beeinträchtigung im Vordergrund steht, aufgenommen. Wegen der pädagogischen Schwerpunkte der Tätigkeit des Klägers wird auf den Schriftsatz der Beklagten vom 08. April 2011 (S. 4 - 6 = Bl. 56 - 58 d.A.) Bezug genommen.
Der Kläger fehlte krankheitsbedingt im Jahr 2006 an 36 Tagen, im Jahr 2007 an 52 Tagen, im Jahr 2008 an 62 Tagen, im Jahr 2009 an 229 Tagen und im Jahr 2010 an 189 Tagen; wegen der weiteren Einzelheiten zu den krankheitsbedingten Fehlzeiten des Klägers wird auf den Schriftsatz der Beklagten vom 08. April 2011 (Seite 7 = Bl. 59 d.A.) verwiesen. In der Zeit vom 02. November bis 14. Dezember 2010 absolvierte der Kläger eine Rehabilitationsmaßnahme in der Reha-Klinik Moselhöhe in Bernkastel-Kues, aus der er als arbeitsunfähig entlassen wurde; wegen der Einzelheiten wird auf den ärztlichen Entlassungsbericht vom 10. Dezember 2010 (Bl. 231 - 239 d.A.) Bezug genommen. Ab dem 03. Januar 2011 sollte eine stufenweise Wiedereingliederung erfolgen. In einem Schreiben vom 20. Januar 2011 (Bl. 73 d.A.) teilte der Betriebsarzt der Beklagten mit, dass das "Erreichen des Wiedereingliederungsziels keine Erfolgsaussichten" habe, die Maßnahme abzubrechen sei und weitere Maßnahmen zur Unterstützung der Rehabilitation zu prüfen sowie in die Wege zu leiten seien.
Mit anwaltlichen Schreiben vom 16. Februar 2011 (Bl. 16, 17 d.A.) legte der Kläger der Beklagten eine Bescheinigung seiner behandelnden Fachärztin, Frau Dr. Sch.-G. (Fachgebiete Neurologie und Psychiatrie), vom gleichen Tag (Bl. 74 d.A.) vor, nach der die Arbeitsunfähigkeit nach Untersuchung am 16. Februar 2011 beendet und er ab sofort ohne Einschränkungen voll arbeitsfähig sei.
Mit Schreiben vom 15. Februar 2011 (Bl. 15 d.A.), dem Kläger am 18. Februar 2011 zugegangen, kündigte die Beklagte das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis zum 30. Juni 2011. Hiergegen hat der Kläger mit Schriftsatz vom 02. März 20...