Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachteilsausgleich bei geplanter Betriebsänderung ohne Interessenausgleich mit Betriebsrat. Anrechnung Sozialplanabfindung auf Nachteilsausgleichsanspruch
Leitsatz (redaktionell)
Aus dem Schutzzweck des § 113 Abs. 3 BetrVG ergibt sich ein Verhandlungsanspruch des Betriebsrates im Rahmen des Interessenausgleichs. Wird dieser nicht durchgeführt, so steht dem Arbeitnehmer ein Nachteilsausgleichsanspruch zu. Dieser ist aber zu verrechnen, sofern schon eine Sozialplanabfindung gezahlt wird.
Normenkette
BetrVG § 111 S. 3 Nr. 1, § 112 Abs. 2, § 113 Abs. 1, 3; KSchG § 1a Abs. 1; RL 98/59/EG Art. 2; KSchG § 10
Verfahrensgang
ArbG Trier (Entscheidung vom 21.11.2017; Aktenzeichen 2 Ca 560/17) |
Tenor
I.
Auf die Berufung der klagenden Partei wird das Urteil des Arbeitsgerichts Trier vom 21. November 2017 - 2 Ca 560/17- teilweise abgeändert, soweit die Klage auch hinsichtlich des Nachteilsausgleichsanspruchs abgewiesen worden ist.
Die Beklagte wird verurteilt, an die klagende Partei gemäß § 113 III BetrVG einen Nachteilsausgleich in Höhe von 18.599,02 Euro brutto zu zahlen. Die weitergehende Klage auf Nachteilsausgleich wird abgewiesen.
II.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
III.
Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz trägt der Kläger zu 72 %, die Beklagte zu 28 %. Von den Kosten des Rechtsstreits zweiter Instanz trägt der Kläger 68 %, die Beklagte 32 %.
IV.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten zuletzt noch um einen Anspruch auf Nachteilsausgleich.
Die Beklagte, vormals unter Z. GmbH firmierend, ist ein auf Stromerzeugungsaggregate spezialisiertes Unternehmen, welches Netzersatzanlagen, Sonderstromerzeuger und Antriebssysteme herstellt. Der am 30. Oktober 1958 geborene, verheiratete und zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtete Kläger war ab 03. Juli 1989 bei Beklagten als Elektroniker im Betrieb Y.-Stadt beschäftigt, zuletzt zu einem Bruttomonatsentgelt von 3.188,37 Euro bei einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 38,00 Stunden. Der Kläger war bis zuletzt Mitglied des bei der Beklagten gewählten Betriebsrates.
Die Alleingesellschafterin der Beklagten hat - im Berufungsverfahren nicht mehr umstritten - am 24. Februar 2017 folgenden Beschluss gefasst (Bl. 17 der beigezogenen Akte Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz 6 Sa 114 /18; im Folgenden: 6 Sa 114/18):
"1. Der Betrieb der Z. Gesellschaft mit beschränkter Haftung soll zum 31.08.2017 eingestellt werden.
2. Der Betriebsrat der Z. Gesellschaft mit beschränkter Haftung soll hierüber frühestmöglich informiert werden. Die Geschäftsführung soll sogleich mit der Vorbereitung des Eintritts in das Interessenausgleichsverfahren beginnen.
3. Die Geschäftsführung soll die Stilllegung des Betriebs operativ durchführen, hierbei insbesondere die Planung der Auslaufproduktion sowie die Regelung der Auftragsnachfolge des laufenden Geschäfts.
4. Die Z. Gesellschaft mit beschränkter Haftung soll keine neuen Aufträge mehr annehmen, deren Fertigstellung nicht bis 31.08.2017 erfolgen kann."
Mit Schreiben vom 22. März 2017 wurde der Betriebsrat der Beklagten (Bl. 18 f. d. A. 6 Sa 114 /18) über die beabsichtigte Massenentlassung informiert. Wegen des Inhaltes des Anschreibens wird auf den Akteninhalt verwiesen. Die nunmehrigen Prozessbevollmächtigten der Beklagten übersandten das Informationsschreiben mit Schreiben vom 23. März 2017 zur Kenntnis an die Agentur für Arbeit.
Am 08., 15, 23. und 30. März, 06. April und am 13. April 2017 führten die Beklagte und der bei ihr gewählte Betriebsrat Gespräche über einen Interessenausgleich und Sozialplan. Im Rahmen der Gespräche überreichten die Betriebspartner wechselseitig Entwürfe zum Interessenausgleich und Sozialplan (Bl. 31 ff. d. A. 6 Sa 114 /18, Bl. 34 ff. d. A. 6 Sa 114 /18). Im letzten Gesprächstermin erklärte die Beklagte die Verhandlungen für gescheitert. Die Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats riefen in der Folge mit Schreiben vom 18. April 2017 (vgl. Bl. 259 f. d. A. 6 Sa 114/18), hinsichtlich dessen Formulierung im Einzelnen auf den Akteninhalt Bezug genommen wird, die Einigungsstelle zum Regelungsthema "Sozialplan zur Betriebsstilllegung" an. Nachdem die Betriebspartner eine Einigung über die personelle Besetzung dieser Einigungsstelle nicht herbeiführen konnten, leiteten die Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats mit Antragsschrift vom 27. April 2017 beim Arbeitsgericht Trier ein Beschlussverfahren unter dem Aktenzeichen 2 BV 46/17 ein und beantragten die Bestellung des Einigungsstellenvorsitzenden X. und die Festsetzung der Zahl der Beisitzer pro Seite mit je 5.
Am 25. April 2017 erstattete die Beklagte Massenentlassunganzeige bei der Agentur für Arbeit Y.-Stadt (Bl. 49 ff. d. A. 6 Sa 114/18). Nachdem ihm mit Schreiben vom 19. April 2017 ein Anhörungsbogen zur beabsichtigten Kündigung übergeben worden war, widersprach der Betriebsrat der Kündigung der klagenden Partei mit Schreiben vom 26. April 2017.
Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der Klage...