Entscheidungsstichwort (Thema)
Abänderung vertraglicher Absprachen durch Betriebsnormen. Günstigkeitsprinzip im Verhältnis von Betriebsvereinbarungen zu einzelvertraglichen Ansprüchen
Leitsatz (redaktionell)
Das Günstigkeitsprinzip des § 4 Abs. 3 TVG stellt sicher, dass Tarifverträge nicht durch anderweitige Abmachungen unterschritten werden dürfen. Dies gilt auch im Verhältnis von Betriebsvereinbarungen zu einzelvertraglichen Ansprüchen. Eine Jahressondervergütung aus einer Firmenregelung und eine Gewinnbeteiligung aus einer Betriebsvereinbarung sind funktional nicht gleichwertig. Deshalb ist das Günstigkeitsprinzip anwendbar.
Normenkette
TVG § 4 Abs. 3
Verfahrensgang
ArbG Koblenz (Entscheidung vom 11.07.2018; Aktenzeichen 7 Ca 390/17) |
Tenor
- Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 11. Juli 2018, Az. 7 Ca 390/17, teilweise abgeändert und die Beklagte verurteilt, an den Kläger 2.335,06 EUR brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.04.2014 zu zahlen.
- Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
- Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über Ansprüche des Klägers aus einer Betriebsvereinbarung zur Gewinnbeteiligung.
Der 1961 geborene Kläger ist bei der Beklagten seit 1979 als Schlosser/ Maschineneinrichter zu einem durchschnittlichen Monatsentgelt von 3.313,96 EUR brutto beschäftigt. Die Beklagte betreibt ein Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie. Sie beschäftigt an ihrem Standort in Rheinland-Pfalz ca. 270 Arbeitnehmer; es besteht ein Betriebsrat. Der Kläger ist seit 2007 Mitglied der Gewerkschaft IG M.. Die Beklagte ist mindestens seit dem Jahr 2001 noch OT-Mitglied des zuständigen Arbeitgeberverbandes.
In einer sog. "Unternehmensregelung zur Einführung der 40-Stunden-Woche und zur Gehaltsreduzierung" (im Folgenden Unternehmensregelung 2007), die von beiden Arbeitsvertragsparteien am 29.01.2007 unterzeichnet worden ist, wurde mit Wirkung ab 01.02.2007 auszugsweise folgendes geregelt:
"...
1. 40 Stunden Woche
Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit ohne Pausen für Vollzeitkräfte und Auszubildende beträgt ab dem 01.02.2007 - 40 Stunden.
Für Teilzeitkräfte gilt die Regelung entsprechend. Das Gehalt und der Monatslohn bleiben unverändert. Die Stundenlöhne werden um 14 % reduziert oder (Die Erhöhung der Arbeitszeit erfolgt ohne Lohnausgleich).
2. Lohn- und Gehaltsreduzierung
Das Urlaubs- und Weihnachtsgeld entfällt. Wahlweise kann auch Lohn oder Gehalt um 10 % reduziert werden.
Für die Mitarbeiter, die kein gesondertes Urlaubs- und Weihnachtsgeld erhalten, reduziert sich das Jahres-/Monatsgehalt um 10 %.
3. Jahressondervergütung
3.1 Zur Kompensation der Lohn-/Gehalts-/Weihnachts-/Urlaubsgeldkürzung tritt folgende Vergütung in Kraft:
Das Unternehmen braucht u.a. für notwendige Investitionen einen Mindestgewinn von 500.000 Euro vor Steuern. Der Konzerngewinn, der den Mindestgewinn übersteigt, wird geteilt, 50: 50 zwischen Unternehmen und Mitarbeiter, bis die 10 % Entgeltkürzung kompensiert ist.
z.B. |
Gewinn vor Steuern |
2.500 |
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./. Mindestgewinn |
500 |
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Restgewinn |
2.000 |
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50% Mitarbeiteranteil |
= 1.000 |
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= Dies entspricht dann dem 10%igen Gehaltsverzicht |
Übersteigt der Gewinn 2.500.000 € verbleibt der Gewinn im Unternehmen, bis ein neuer Gewinnbeteiligungsmodus gefunden ist.
3.2 Liegt eine Gewinnsituation vor, erfolgt bereits im laufenden Jahr mit der Novemberabrechnung eine Abschlagszahlung von 25 % der voraussichtlichen Gewinnbeteiligung.
Die Restzahlung erfolgt nach Fertigstellung der Konzernbilanz.
4. Bestandsgarantie
[Die Beklagte] garantiert, dass [sie] in den nächsten 5 Jahren weder den Versand, die spanende Fertigung noch den Firmensitz verlagert. Ebenso wird in dieser Zeit der Versandbereich nicht zu einem Dienstleister verlagert.
5. Diese Vereinbarung gilt nur für Mitarbeiter, die am 01.02.2007 bei der [Beklagten] beschäftigt sind.
6. Im November 2008 wird mit jedem Mitarbeiter über die weitere Laufzeit der Vereinbarung verhandelt.
7. Unabhängig von dieser Regelung legt der Betriebsrat und die Unternehmensführung im November eines jeden Jahres die Lohn- und Gehaltserhöhung für die Folgejahre fest. Ebenfalls wird je nach wirtschaftlicher Lage des Unternehmens über zusätzliche Gehaltserhöhungen zur Kompensation der Lohn- und Gehaltsreduzierung nach Ziffer 2 verhandelt."
Am 27.09.2013 schloss die Beklagte mit dem Betriebsrat eine "Betriebsvereinbarung zur Gewinnbeteiligung" (im folgenden Betriebsvereinbarung 2013), die auszugsweise wie folgt lautet:
"A. Präambel
Für den Berechnungsmodus der Gewinnbeteiligung soll in Anbetracht der bisherigen wirtschaftlichen Entwicklung der [Beklagten] und der zukünftigen Herausforderungen im Wettbewerbsfeld des Heimwerkermarktes ein neuer Berechnungsparameter für die Zukunft gefunden werden. Um den bisherigen Entwicklungen Rechnung zu tragen und allen Mitarbeitern (m/w) eine verbindliche Zusage für die nächsten 5 Jahre zu geben, wird der Berechnungsmodus mit Wirkung zum 1. Januar 2013 neu ...