Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichteinladung eines schwerbehinderten Bewerbers zum Vorstellungsgespräch als Indiz für eine Diskriminierung wegen der Behinderung. "Öffentlicher Arbeitgeber" i.S.d. §§ 165 Satz 3, 154 Abs. 2 Nr. 4 SGB IX. Keine Indizwirkung nach § 22 AGG bei Nichteinladung eines schwerbehinderten Menschen durch privaten oder kirchlichen Arbeitgeber
Leitsatz (amtlich)
1. Der Verstoß des öffentlichen Arbeitgebers gegen die in § 165 Satz 3 SGB IX geregelte Pflicht, einen schwerbehinderten Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, begründet regelmäßig die Vermutung einer Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung.
2. Die Evangelische Kirche, einschließlich ihrer Untergliederungen, ist kein öffentlicher Arbeitgeber im Sinne der §§ 165 Satz 3, 154 Abs. 2 Nr. 4 SGB IX.
3. Lädt ein Kirchenkreis der Evangelischen Kirche einen schwerbehinderten Bewerber nicht zu einem Vorstellungsgespräch ein, kommt dem keine Indizwirkung im Sinne von § 22 AGG zu.
Leitsatz (redaktionell)
Die kirchliche Gewalt ist keine staatliche Gewalt. Der Status eines Kirchenkreises als Körperschaft des öffentlichen Rechts nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 WRV soll die Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der Religionsgemeinschaft unterstützen. Er ist ein Mittel zur Entfaltung der Religionsfreiheit und unterscheidet sich damit grundlegend von den sonstigen Körperschaften des öffentlichen Rechts im verwaltungs- und staatsorganisationsrechtlichen Verständnis.
Normenkette
AGG § 15 Abs. 2, § 22; GG Art. 140; SGB IX § 154 Abs. 2 Nr. 4, § 165 S. 3; WRV Art. 137 Abs. 5; AGG §§ 1, 7 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Koblenz (Entscheidung vom 25.11.2021; Aktenzeichen 10 Ca 3388/20) |
Nachgehend
Tenor
- Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 25.11.2021, Az. 10 Ca 3388/20, wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
- Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG wegen einer Benachteiligung aufgrund der Schwerbehinderung zu zahlen.
Der Beklagte, eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, ist einer der 37 Kirchenkreise in der Evangelischen Kirche im Rheinland mit Sitz in C-Stadt. Er schrieb am 4. April 2020 für sein Verwaltungsamt zum nächstmöglichen Zeitpunkt "eine Stelle in Vollzeit mit 39 Wochenstunden (m/w/d) in der Finanzbuchhaltung" aus. Als Qualifikationsvoraussetzung wurde genannt: "Die Ausbildung zur/zum Verwaltungsfachangestellten oder eine vergleichbare kaufmännische Ausbildung sind wünschenswert". Der mit einem GdB von 60 schwerbehinderte Kläger bewarb sich mit Schreiben vom 11. April 2020 unter Hinweis auf seine Schwerbehinderung auf diese Stelle. Er ist ausgebildeter Großhandelskaufmann.
Mit Schreiben vom 15. Mai 2020 teilte ihm der Beklagte mit, dass seine Bewerbung nicht berücksichtigt werden könne. Zu einem Vorstellungsgespräch war der Kläger nicht eingeladen worden. Auf Nachfrage des Klägers erklärte der Beklagte mit Schreiben vom 22. Juni 2020, dass ihn die fachliche Qualifikation einer Mitbewerberin überzeugt habe. Mit Schreiben vom 8. Juli 2020 machte der Kläger vergeblich die Zahlung einer Entschädigung in Höhe von drei Bruttomonatsgehältern geltend. Mit seiner am 8. Oktober 2020 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage verfolgt er den Anspruch zuletzt in Höhe von € 7.500,00 weiter.
Das Arbeitsgericht hat die Klage wegen Säumnis des Klägers im Kammertermin am 22. Juli 2021 abgewiesen. Nach fristgerechtem Einspruch des Klägers hat das Arbeitsgericht das Versäumnisurteil mit Urteil vom 25. November 2021 aufrechterhalten.
Zur Begründung der Entscheidung hat das Arbeitsgericht - zusammengefasst - ausgeführt, der Beklagte habe den Kläger nicht wegen seiner Schwerbehinderung benachteiligt. Die Tatsache, dass der Kläger nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden sei, stelle kein Indiz für eine Diskriminierung iSv. § 22 AGG dar. Der Beklagte sei zu einer Einladung gem. § 165 Satz 3 SGB IX nicht verpflichtet gewesen. Er sei zwar als evangelischer Kirchenkreis eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. Dennoch sei er nicht als "sonstige Körperschaft" iSd. § 154 Abs. 2 Nr. 4 SGB IX einzustufen. Wegen der Einzelheiten der erstinstanzlichen Begründung wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils vom 25. November 2021 Bezug genommen.
Gegen das am 13. Dezember 2021 zugestellte Urteil hat der Kläger mit einem am 13. Januar 2022 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese gleichzeitig begründet.
Er macht geltend, bei dem Beklagten handele es sich um einen öffentlichen Arbeitgeber. Entscheidend sei hier zunächst der klare Gesetzeswortlaut des § 154 Abs. 2 Nr. 4 SGB IX. Der Wortlaut schränke den Begriff nicht auf die Staatsverwaltung ein, sondern umfasse auch staatsferne Körperschaften des öffentlichen Rechts. Die Annahme des Arbeitsgerichts, der Begriff knüpfe an ...