Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtzeitige Geltendmachung tariflicher Vergütungsansprüche vor Fälligkeit und jeweiliger Entstehung. Zahlungsklage einer Fachverkäuferin des Einzelhandels
Leitsatz (redaktionell)
1. Das Ziel der zügigen Klärung wechselseitiger Rechte und Pflichten aus einem Arbeitsverhältnis erfordert nicht, einen Anspruch erst nach Eintritt der Fälligkeit geltend zu machen. Behauptet die Anspruchstellerin vor Fälligkeit, dass der von einer Norm zur Entstehung des Anspruchs vorausgesetzte Tatbestand verwirklicht ist, kann sich die Anspruchsgegnerin auf die erhobene Forderung einstellen und Klarheit über das Bestehen oder Nichtbestehen des Anspruchs verschaffen.
2. Steht allein ein bestimmtes Element einer bestimmten Art von Ansprüchen (wie etwa die Geltung der einschlägigen tariflichen Vorschriften) im Streit, erfüllt die Aufforderung, dieses zukünftig in konkreter Art und Weise zu beachten, die Funktion einer Inanspruchnahme auch für den Fall, dass die Ansprüche etwa im Hinblick auf künftige Tariferhöhungen bei Geltendmachung zumindest zum Teil noch nicht entstanden sind. Für die Schuldnerin (Arbeitgeberin) kann kein Zweifel bestehen, was von ihr verlangt wird, und die Gläubigerin (Arbeitnehmerin) darf ohne weiteres davon ausgehen, dass sie ihrer Obliegenheit zur Geltendmachung genüge getan hat.
Normenkette
BGB § 611 Abs. 1; MTV Einzelhandel RP § 16 Nr. 1c; BGB § 611a Abs. 2; MTV Einzelhandel RP § 16 Nr. 1 Buchst. c
Verfahrensgang
ArbG Ludwigshafen (Entscheidung vom 16.05.2013; Aktenzeichen 1 Ca 2331/11) |
Tenor
I.
Auf die Berufung der Klägerin wird das Teilurteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 16.5.2013 - 1 Ca 2331/11 - wie folgt abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin restliche Arbeitsvergütung für den Zeitraum Juli 2009 bis November 2011 in Höhe von 2.165,41 € brutto zu zahlen.
II.
Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
III.
Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
IV.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten im vorliegenden Berufungsverfahren über einen Anspruch der Klägerin auf Nachzahlung von Arbeitsvergütung für den Zeitraum von Juli 2009 bis November 2011 auf der Grundlage der Gehaltstarifverträge für die Angestellten im Einzelhandel Rheinland-Pfalz, wobei zwischen den Parteien streitig ist, ob diese Tarifverträge auf das zwischen ihnen begründete Arbeitsverhältnis Anwendung finden.
Die am 13.05.1959 geborene Klägerin ist seit dem 01.09.1982 durchgehend als Fachverkäuferin in Modegeschäften in F. beschäftigt, die zunächst von der Beklagten selbst und zwischenzeitlich von deren Sohn betrieben wurden. Seit Mitte 2009 betreibt die Beklagte diese Geschäfte wieder selbst. Zuletzt arbeitete die Klägerin in einer (unselbständigen) Filiale der Beklagten im F.-Center F..
Der zwischen der Klägerin und der Beklagten geschlossene Arbeitsvertrag vom 31.08.1982 enthält u. a. folgende Bestimmungen:
"Entgelt
I. Tarifliche Bezahlung
Das monatliche Brutto-Tarifgehalt beträgt: nur während der Probezeit DM 1.200,00.
danach nach Tarif.
...
§ 14
Im Übrigen gelten die tariflichen Bestimmungen für Beschäftigte im Einzelhandel der Pfalz bzw. die allgemeinen gesetzlichen Vorschriften.
Herr/Frau/Fräulein A. kann jederzeit den im Betrieb vorhandenen Manteltarifvertrag einsehen..."
Unter dem Datum vom 21.03.2009 richtete die Klägerin über ihren Prozessbevollmächtigten ein Schreiben an den Sohn der Beklagten, der seinerzeit die betreffenden Modegeschäfte in F. führte. Das Schreiben enthält u. a. folgende Formulierungen:
"... Wie inzwischen festgestellt und Ihnen bekannt, beinhaltet der Arbeitsvertrag meiner Mandantin einen dynamischen Verweis auf die jeweils gültigen Tarifverträge des Einzelhandels in Rheinland-Pfalz.
Sie haben diese Tarifordnung offenbar seit einiger Zeit durch veränderte Zahlungsmodalitäten einseitig unterlaufen und damit tarifwidrig vergütet.
I. Ich habe Sie deshalb aufzufordern, ab 01.04.2009 die Vergütung meiner Mandantin auf die Tarifsystematik, -struktur und -höhe des rheinland-pfälzischen Einzelhandelstarifvertrages umzustellen.
Im Einzelnen sind das folgende Elemente:
Stundenlohn: € 12,75 statt von Ihnen gezahlter € 12,20
Urlaubsgeld: € 1.033,00 (Vollzeit) statt von Ihnen gezahlter € 988,15
Weihnachtsgeld: € 1.291,25 (Vollzeit) statt von Ihnen gezahlter € 1.235,19 Vorsorgetarif: € 300,00 (Vollzeit) statt von Ihnen gezahlter € 0,00
Altersvorsorge: € 170,00 (Vollzeit) statt von Ihnen gezahlter € 0,00
Die künftig zu erbringenden Zahlungen sind mit der vertraglich vereinbarten Stundenzahl zu multiplizieren. Für Jahresbeträge sind für Vollzeit 162 Monatsstunden in Ansatz zu bringen, die vertraglich vereinbarte Stundenzahl im Verhältnis zu 162 ergibt die Quote, um die die o. a. Jahresbeträge aufgrund Teilzeit zu kürzen sind. ..."
In der Zeit von Juli 2009 bis einschließlich Juli 2010 belief sich die vereinbarte regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit der Klägerin auf 27,5 Stunden, ab August 2010 reduzierte sich diese Arbeitszeit auf 22 Stunden ...