Entscheidungsstichwort (Thema)
Unwirksame verhaltensbedingte Kündigung bei Weitergabe beleidigender Äußerungen durch eine Arbeitskollegin
Leitsatz (redaktionell)
1. Bezeichnet der Arbeitnehmer seinen Vorgesetzten als "autistisches krankes Arschl...", liegt darin eine grobe Beleidigung, deren rechtliche Beurteilung zur Wirksamkeit einer darauf gestützten Kündigung von den Umständen abhängt, unter denen die diffamierende und/oder ehrverletzende Äußerung gefallen ist.
2. Darf der Arbeitnehmer darauf vertrauen, dass die Adressatin seiner SMS-Nachricht diese nicht an den Vorgesetzten oder an die Arbeitgeberin weiterleiten wird, ist dem Arbeitnehmer aufgrund der Besonderheit des Einzelfalles keine Pflichtverletzung anzulasten; eine durch die Weiterleitung der negativen Äußerung eingetretene Störung des Vertrauensverhältnisses oder des Betriebsfriedens ist dann nicht durch die Herabsetzung des Vorgesetzten an sich eingetreten sondern erst dadurch, dass die Gesprächspartnerin die Vertraulichkeit missachtet und sich in einer für den Arbeitnehmer unerwarteten Weise indiskret verhalten hat.
3. Beruht die Vertragspflichtverletzung auf einem steuerbaren Verhalten des Arbeitnehmers, ist zunächst einmal grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten bereits durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann; von der Arbeitgeberin ist nach dem das gesamte Kündigungsrecht beherrschenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz deshalb grundsätzlich zu fordern, dass er ein zu beanstandendes Verhalten zum Anlass für eine Abmahnung nimmt.
Normenkette
KSchG §§ 1, 1 Abs. 2 S. 1 Alt. 2; BGB § 314 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Trier (Entscheidung vom 18.09.2014; Aktenzeichen 3 Ca 719/14) |
Tenor
- Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Trier vom 18.09.2014 - 3 Ca 719/14 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
- Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits streiten darüber, ob das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis aufgrund einer ordentlichen Arbeitgeberkündigung sein Ende gefunden hat, oder aber nicht.
Des Weiteren streiten die Parteien darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss dieses Verfahrens einstweilen weiter zu beschäftigen.
Der Kläger ist bei der Beklagten seit dem 01.05.2010 als Oberarzt zu einem Bruttojahresgehalt von 130.000,00 EUR beschäftigt. In den letzten Jahren war er bei der Beklagten ausschließlich als Herzchirurg eingesetzt.
Am 19.05.2014 erklärte er sich in einer Teambesprechung angesichts eines bei der Beklagten bestehenden Personalengpasses bereit, die medizinischtechnische Operationsassistentin Frau N. zu fragen, ob sie bereit sei, Rufbereitschaft zu leisten, um dadurch die Ärzte zumindest teilweise zu entlasten. Am Nachmittag desselben Tages kam es zwischen dem Kläger und Frau N. zu folgender SMS-Kommunikation per Handy:
Kläger (16.10 Uhr):
"Hi L., soll Dich mal aus REIN DIENSTLICHEN GRÜNDEN fragen, ob Du stundenweise Rufdienst machen könntest. Am besten wir telefonieren kurz heute Abend nach 20.00 Uhr. Danke m"
N.(16.28 Uhr):
"Hallo, es ist schon alles mit dem Chef besprochen"
Kläger (16.56 Uhr):
"Dann ist ja gut. Heute morgen hat er nichts davon gesagt. Er ist u bleibt ein autistisches krankes Arschl... l G m"
Nachdem Frau N. daraufhin den besagten "Chef", den Chefarzt Prof. Dr. F., über diesen Vorgang in Kenntnis gesetzt hatte, kündigte dieser dem Kläger am 21.05.2014 mündlich fristlos ohne nähere Begründung und erteilte ihm ein Zutrittsverbot für die Operationsräume der Herzchirurgie einschließlich der zugeordneten Stationen. Nach Gesprächen zwischen dem Kläger, seinem Prozessvertreter und dem Personalleiter Herrn W. am 27.05. und 02.06.2014 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 18.06.2014 ordentlich zum 30.09.2014. Zuvor hatte sie am 04.06.2014 die Mitarbeitervertretung zur Kündigung angehört; diese hatte mit Schreiben vom 10.06.2014 erklärt, keine Einwendungen insoweit zu erheben.
Der Kläger hat vorgetragen,
er habe Herrn Prof. Dr. F. gar nicht beleidigt, da es sich bei seiner SMS von 16.56 Uhr um einen Irrläufer gehandelt habe. Diese SMS sei nicht für Frau N. bestimmt gewesen, sondern für seine Tochter, und habe sich auf deren Patenonkel bezogen, denn dieser habe stets erklärt, einmal die Hochzeit seiner - des Klägers - Tochter ausrichten zu wollen, jetzt aber, als die Hochzeit am 30.05.2014 angestanden habe, davon nichts mehr wissen wollen. Daraufhin habe er seinen Schwager vor der Dienstbesprechung am 19.05.2014 angesprochen und ihn an sein Versprechen erinnert; später habe ihm seine Tochter dann mitgeteilt, dass ihr Onkel eingelenkt habe und sich in geringem Umfang an den Ausgaben beteiligen wolle. Daraufhin habe er nach Dienstschluss die SMS von 16.56 Uhr an seine Tochter geschrieben, allerdings seine Lesebrille nicht dabei gehabt und daher beim Herunterscrollen den falschen Adressaten aufgerufen. In seinem Handy-Adres...