Entscheidungsstichwort (Thema)

Nichtige Kündigung per WhatsApp. Unbeachtlichkeit eines Formmangels wegen des Grundsatzes von Treu und Glauben. "Wichtiger Grund" i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB. Darlegungs- und Beweislast nach Entkräftung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung durch den Arbeitgeber

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Eine per WhatsApp übermittelte Eigenkündigung ist unwirksam und nach § 125 Satz 1 BGB nichtig, da sie nicht dem Schriftformerfordernis entspricht (§§ 623 i.V.m. 126 S. 1 BGB).

2. Die Formvorschrift des § 623 BGB darf im Hinblick auf ihren Sinn und Zweck nicht ausgehöhlt werden. Die Vorschrift soll den Arbeitnehmer vor einer unüberlegten und voreiligen Kündigung schützen. Hat eine Formvorschrift zudem auch eine Warnfunktion, darf sie nicht aus Billigkeitserwägungen außer Acht gelassen werden. Ein Formmangel kann deshalb nur ganz ausnahmsweise als unbeachtlich qualifiziert werden.

3. Bei einer fristlosen Kündigung ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände "an sich", d. h. typischerweise, als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der Umstände des Falls jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht. Unentschuldigtes Fehlen kann einen solchen "wichtigen Grund" darstellen.

4. Ist es dem Arbeitgeber gelungen, den Beweiswert der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern, ist es Sache des Arbeitnehmers, nunmehr angesichts der Umstände, die gegen eine Arbeitsunfähigkeit sprechen, weiter zu substantiieren: welche Krankheiten vorgelegen haben, welche gesundheitlichen Einschränkungen bestanden haben, welche Verhaltensmaßregeln oder Medikamente ärztlich verordnet wurden. Danach muss dann der Arbeitgeber aufgrund der ihm obliegenden Beweislast den konkreten Sachvortrag des Arbeitnehmers widerlegen.

 

Normenkette

BGB §§ 126, 242, 623, 626; ZPO § 138 Abs. 2; BGB §§ 125, 130 Abs. 1, § 140

 

Verfahrensgang

ArbG Trier (Entscheidung vom 15.09.2021; Aktenzeichen 5 Ca 46/21)

 

Tenor

  1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Trier vom 15. September 2021, Az. 5 Ca 46/21, soweit die Klage abgewiesen worden ist, abgeändert und

    1. festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 13. Januar 2021 aufgelöst worden ist,
    2. die Beklagte verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits zu unveränderten Bedingungen als Sicherheitsmitarbeiter weiterzubeschäftigen.
  2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
  3. Die Revision wird nicht zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

Der 1986 geborene Kläger ist verheiratet und Vater von zwei unterhaltsberechtigten Kindern. Er ist seit dem 1. August 2017 bei der Beklagten als Sicherheitsmitarbeiter zu einem Bruttostundenlohn von zuletzt € 10,60 in der 40-Stundenwoche beschäftigt. Die Beklagte erbringt Wach- und Sicherheitsdienstleistungen; sie beschäftigt regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer iSd. § 23 Abs. 1 KSchG.

Der Kläger sollte am Donnerstag, dem 07.01.2021 um 7:00 Uhr zur Arbeit im Pfortendienst bei der Kundin Papier-R. erscheinen. Um 8:49 Uhr teilte er dem Geschäftsführer der Beklagten per WhatsApp folgendes mit:

"Moin sorry ich komm heute nicht mehr auf die arbeit meine frau lässt sich von mir scheiden keine ahnung ob ich die nächsten tage überhaupt noch kommen werde"

Um 11:26 Uhr desselben Tages übermittelte er dem Geschäftsführer per WhatsApp das Foto einer handschriftlichen Kündigungserklärung auf Karopapier mit folgendem Text:

"Sehr geehrter Herr H.,

Hiermit kündige ich, das mit ihnen bestehendes Arbeitsverhältnis fristgemäß zum 01.03.2021.

Mit Freundlichen Grüßen

A."

Unter dem Foto fügte er folgende WhatsApp-Nachricht an:

"Schriftlich bekommst du es auch noch geschickt. Des weitern bitte ich dich drum mir bis einschließlich 12.01.2021 mir Urlaub gibst das ich die Grundsachen klären kann. Sorry nochmals aber es geht nicht mehr anders. Die Arbeit hab ich zu lange vor meine Familie gestellt. Gruss M."

Das Original des fotografierten Kündigungsschreibens vom 7. Januar 2021 übermittelte der Kläger der Beklagten nicht. Am 8. Januar 2021 bestätigte die Beklagte die Kündigung des Klägers schriftlich wie folgt:

"... am 07.01.2021 haben Sie erklärt, dass Sie auf eigenen Wunsch zum 07.01.2021 das Arbeitsverhältnis mit uns beenden.

Wir bestätigen hiermit Ihre fristlose Kündigung zum 07.01.2021.

Bitte senden Sie Ihren Dienstausweis, Firmenunterlagen und Dienstkleidung auf dem Postweg an uns zurück."

Der Zeitpunkt des Zugangs dieser Kündigungsbestätigung ist zwischen den Parteien streitig. Am 7. und 8. Januar 2021 erteilte die Beklagte dem Kläger jeweils eine schriftliche Abmahnung, weil er an diesen Tagen nicht zur Arbeit erschienen ist. Am 10. Januar 2021 um 16:50 Uhr übersandte der Geschäftsführer der Beklagten dem Kläger folgende WhatsApp-Nachricht:

"Bitte bei der Agentur für Arb...

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