Entscheidungsstichwort (Thema)

Insolvenzanfechtung von Mindestlohn. Kein insolvenzgesicherter gesetzlicher Mindestlohn. Keine Geltung von arbeitsvertraglichen Ausschlussfristen für Rückgewährsanspruch des Insolvenzverwalters nach § 143 InsO

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Der Insolvenzverwalter kann wegen Gläubigerbenachteiligung die Rückzahlung des gesamten Arbeitsentgeltes verlangen. Hierzu gehört auch der gegen Insolvenzanfechtung nicht gesicherte gesetzliche Mindestlohn.

2. Arbeitsvertragliche Ausschlussfristen gelten nicht für den Rückgewährsanspruch des Insolvenzverwalters nach § 143 InsO.

 

Normenkette

InsO § 129 Abs. 1, § 131 Abs. 1, § 143 Abs. 1; MiLoG § 1 Abs. 1; ZPO § 97 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Ludwigshafen (Entscheidung vom 29.09.2021; Aktenzeichen 3 Ca 264/21)

 

Tenor

  1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen am Rhein vom 29.09.2021, Az. 3 Ca 264/21, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
  2. Die Revision wird nicht zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte Arbeitsentgelt, das sie durch Zwangsvollstreckungsmaßnahmen erlangt hat, im Wege der Insolvenzanfechtung an die Masse zurückgewähren muss.

Der Kläger ist Insolvenzverwalter in dem auf Antrag vom 27. Juni 2019 am 1. Januar 2020 eröffneten Insolvenzverfahren (AG B-Stadt 145 IN 000/19) über das Vermögen der Z. s.r.o. (Schuldnerin). Die Beklagte war vom 30. August 2018 bis zum 2. Oktober 2018 bei der Schuldnerin, die gewerblich Arbeitnehmerüberlassung betrieb, als Leiharbeitnehmerin zu einem Stundenlohn von € 10,13 brutto beschäftigt. In § 20 des schriftlichen Arbeitsvertrags vom 30. August 2018 war eine zweistufige Ausschlussfrist von jeweils drei Monaten vereinbart.

Das Arbeitsgerichts Ludwigshafen am Rhein - Auswärtige Kammern Landau in der Pfalz - hat die Schuldnerin mit Versäumnisurteil vom 22. Januar 2019 (6 Ca 896/18) verurteilt, an die Beklagten € 1.823,40 brutto, abzüglich am 24. Oktober 2018 gezahlter € 482,44 netto nebst Zinsen zu zahlen. Der Betrag setzt sich zusammen aus Arbeitsentgelt und Annahmeverzugslohn für die Zeit vom 1. September 2018 bis zum 2. Oktober 2018 sowie Urlaubsabgeltung. Die Beklagte betrieb die Zwangsvollstreckung aus dem Versäumnisurteil. Der Gerichtsvollzieher (DR II 000/19) kehrte ihr nach Abzug der Vollstreckungskosten folgende Beträge aus: am 11. Juni 2019 € 22,95, am 25. Juni 2019 € 1.413,78.

Der Kläger forderte die Beklagte mit Schreiben vom 16. Oktober 2020 und erneut mit Schreiben vom 17. November 2020 unter Fristsetzung bis zum 1. Dezember 2020 erfolglos zur Rückzahlung der Beträge auf. Am 15. Dezember 2020 erhob er Klage, die der Beklagten am 9. Januar 2021 zugestellt worden ist. Er ist der Ansicht, die Zahlungen seien gemäß § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO anfechtbar und zurückzugewähren.

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn € 1.436,73 nebst Zinsen iHv fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat gemeint, die Ansprüche des Klägers seien verfallen. Der Anspruch auf Rückgewähr von Vergütung nach einer Insolvenzanfechtung unterfalle der arbeitsvertraglichen Ausschlussfrist. Aufgrund Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 1. Januar 2020 hätte der Kläger die streitgegenständlichen Ansprüche bis zum 1. April 2020 schriftlich und bis zum 1. Juli 2020 gerichtlich geltend machen müssen. Soweit das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 24. Oktober 2013 (6 AZR 466/12) entschieden habe, dass tarifliche Ausschlussfristen auf den insolvenzrechtlichen Rückforderungsanspruch nicht anwendbar seien, könne diese Rechtsprechung nicht auf den Streitfall übertragen werden. Im Übrigen stelle die Rückforderung des bereits gezahlten Arbeitsentgelts einen Eingriff in den gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlohn dar. Diesem Eingriff stünde sie schutzlos gegenüber, weil sie für den Zeitraum, für den sie den gesetzlichen Mindestlohn erhalten habe, nicht rückwirkend Sozialleistungen (ALG 1 oder ALG 2) beantragen könne. Die §§ 129 InsO seien nicht geeignet, in ihren Mindestlohnanspruch einzugreifen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage mit Urteil vom 29. September 2021 stattgegeben und zur Begründung - zusammengefasst - ausgeführt, der Kläger habe gegen die Beklagte einen Anspruch auf Rückgewähr der im Rahmen der Zwangsvollstreckung erhaltenen Zahlungen iHv. € 1.436,73 gemäß §§ 143 Abs. 1 Satz 1, 131 InsO nebst Zinsen. Wegen der Einzelheiten der erstinstanzlichen Begründung wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Die Beklagte hat gegen das am 4. November 2021 zugestellte Urteil mit einem am 26. November 2021 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit einem am 28. Dezember 2021 eingegangenen Schriftsatz begründet.

Sie macht nach Maßgabe der Berufungsbegründungschrift, auf die ergänzend Bezug genommen wird, im Wesentlichen geltend, dem Anspruch des Klägers stehe die ...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?