Entscheidungsstichwort (Thema)

Rücksichtnahmepflichten im Arbeitsverhältnis. Verhaltensbedingte Kündigung. Kein Verschulden bei akuter Psychose

 

Leitsatz (redaktionell)

Bei einer verhaltensbedingten Kündigung muss der Arbeitnehmer schuldhaft gehandelt haben. Dies ist nicht der Fall, wenn ihm wegen einer akuten Psychose die Steuerungsfähigkeit fehlt. Trägt der Arbeitnehmer dies glaubhaft vor, muss der Arbeitgeber einen gegenteiligen Sachverhalt beweisen.

 

Normenkette

BGB § 626 Abs. 1-2, § 241 Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Mainz (Entscheidung vom 29.08.2018; Aktenzeichen 1 Ca 1288/17)

 

Tenor

  1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 29. August 2018, Az.: 1 Ca 1288/17, teilweise abgeändert und klarstellend insgesamt wie folgt neu gefasst:

    Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentlichen Kündigungen der Beklagten gemäß Schreiben vom 11. August 2017, noch durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten gemäß Schreiben vom 28. September 2017, noch durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 16. Oktober 2017 aufgelöst worden ist.

  2. Die Anschlussberufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
  3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
  4. Die Revision wird nicht zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis durch die außerordentlichen Kündigungen der Beklagten gem. Schreiben vom 11. August 2017, 28. September 2017 und 16. Oktober 2017 aufgelöst worden ist.

Die 1969 geborene Klägerin ist seit dem 01.12.2000 bei der Beklagten beziehungsweise bei deren Rechtsvorgängerin zunächst als Küchengehilfin und ab Ende 2005 als Informationsmitarbeiterin an der Pforte für die XY-Klinik beschäftigt. Sie bezieht zuletzt ein durchschnittliches Bruttomonatsgehalt von 2.675,97€.

Wegen ihres Alters und ihrer Betriebszugehörigkeit ist sie nach dem Haustarifvertrag der Beklagten ordentlich unkündbar.

Im Betrieb der Beklagten besteht ein Personalrat.

Die Klägerin ist wegen falscher Verdächtigung durch rechtskräftigen Strafbefehl des AG Mainz vom 18.07.2006 zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Mit Schreiben vom 25. April 2008 (Bl. 196 d.A.) erhielt die Klägerin eine Abmahnung mit dem Vorwurf, sie habe eine Patientin mit akuten Beschwerden in der Notfallaufnahme wegen eines privaten Telefonats zu lange warten lassen.

Wegen gefährlicher Körperverletzung ist sie durch rechtskräftiges Urteil des AG Mainz vom 03.03.2009 zu 9 Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt worden. Wegen der weiteren Einzelheiten hierzu wird auf den Strafbefehl und das Urteil des AG Mainz verwiesen (Bl. 143 ff. und 147ff. d.A.). Am 28.09.2016, 04.11.2016 und zu einem späteren Zeitpunkt im Jahr 2016 gingen bei der Beklagten anonyme Schreiben ein. In diesen heißt es u.a., die Klägerin werde von dem Mitarbeiter Sch. sexuell belästigt. In diesen Schreiben wird auch auf einen "Bundesstaatsanwalt" Bezug genommen. Es ist darin zudem die Rede von einer absichtlichen Gefährdung von Frau "Ch.", Korruption, Unrechtsgehalt und Hochverrat am "Deutschenstaat". Die Kollegen, Freunde und Helfer von Herrn Sch. würden nichts zu lachen haben. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt dieser Schreiben (Bl. 33 f., 38 ff. und 43 d.A.) verwiesen.

In einem Schreiben vom 24.07.2017, das der Beklagten am 25.07.2017 zugegangen ist, forderte die Klägerin von der Beklagten, sie zukünftig als Sicherheitsbeauftragte und "Dienstaufsicht Rätin" zu einem Monatsgehalt von 40.000 € zuzüglich einer einmaligen Zahlung von 500.000 € zu beschäftigen. Diese Tätigkeit sei vor dem Hintergrund, dass die Beklagte Korruption, Mobbing, Unrecht sowie Diebstahl dulde, unterstütze, decke und evtl. sogar fördere, erforderlich. Dieses Vorgehen sei mit dem Herrn Bundesstaatsanwalt, der zudem Mitarbeiter des Bundesinformationsdienstes und Beauftragter der Regierung sei, abgesprochen. Es würden Patienten und Mitarbeiter gefährdet, gemobbt und sexuell belästigt.

In diesem Zusammenhang erklärte die Klägerin zudem, dass es keine gute Idee sei, ihr zu drohen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Schreiben vom 24.07.2017 (Bl. 30 f. d.A.) verwiesen.

Aufgrund dieses Schreibens lud die Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 31.07.2017, das der Klägerin am selben Tage in den Briefkasten geworfen wurde, zu einer Anhörung am 02.08.2017 ein, zu der die Klägerin nicht erschien.

Mit Schreiben vom 03.08.2017, dem Personalrat am selbigen Tage überreicht, hörte die Beklagte diesen zum einen zur beabsichtigten außerordentlichen fristlosen Kündigung und zum anderen zur außerordentlichen Kündigung mit Auslauffrist zum 31.03.2018 an. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die an den Personalrat gerichteten Schreiben vom 03.08.2017 (Bl. 60 ff., 63 ff. d.A.) Bezug genommen.

Der Personalrat bat die Beklagte mit Schreiben vom 09.08.2017 (Bl. 66 f. d.A.), die beabsichtigten Kündigungen im Hinblick auf eine mögliche betriebsärztliche Untersuchung und wegen der "extremen sozialen Härte" zu ü...

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