Entscheidungsstichwort (Thema)

Umfang der Rechtskraft eines die Unwirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses mangels wichtigen Grundes und wegen Verstoßes gegen § 626 Abs. 2 BGB feststellenden Urteils. Anforderungen an die Anhörung des Personalrats

 

Leitsatz (amtlich)

1. Hat das Arbeitsgericht rechtskräftig entschieden, dass eine außerordentliche, fristlose Kündigung mangels wichtigen Grundes nach § 626 Abs. 1 BGB und wegen Verstoßes gegen § 626 Abs. 2 BGB unwirksam ist, ist dies präjudiziell betreffend eine in erster Instanz nicht geprüfte außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist, die am gleichen Tag ausgesprochen wurde und mit den gleichen Gründen begründet wurde.

2. Der Personalrat ist nicht ordnungsgemäß angehört, wenn ihm keine Tatsachen mitgeteilt worden sind, die ihn in Stand setzen, zu prüfen, ob die Kündigungserklärungsfrist gem. § 626 Abs. 2 BGB mit der beabsichtigten außerordentlichen Kündigung noch eingehalten werden kann.

3. Wird der Personalrat zu einem Kündigungssachverhalt objektiv wahrheitswidrig angehört und liegt eine Pflichtverletzung des Arbeitnehmers diesen Sachverhalt betreffend nicht vor, führt dies auch dann zur Unwirksamkeit der Kündigung nach § 108 Abs. 2 BPersVG, wenn die fehlerhafte Anhörung nicht vorsätzlich erfolgte. Dies gilt auch dann, wenn der Personalrat noch zu anderen Kündigungsgründen angehört wurde, jedenfalls, wenn die objektiv falsche Tatsachenmitteilung potentiell die Willensbildung des Personalrats beeinflusst hat (kein tragender Entscheidungsgrund).

 

Normenkette

BGB § 626 Abs. 2; HPVG § 78 Abs. 2; BPersVG § 108 Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Darmstadt (Entscheidung vom 18.06.2014; Aktenzeichen 5 Ca 428/13)

 

Tenor

Das Urteil des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 18. Juni 2014 - 5 Ca 428/13 - wird teilweise abgeändert.

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche fristlose Kündigung der Beklagten vom 10. Oktober 2013 noch durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten mit sozialer Auslauffrist vom 5. September 2013 aufgelöst worden ist.

Es wird festgestellt, dass die Änderung derArbeitsbedingungen durch die hilfsweise ausgesprocheneaußerordentliche Änderungskündigung mit Auslauffrist vom 5. September 2013 unwirksam ist.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz noch über die Wirksamkeit einer arbeitgeberseitigen außerordentlichen fristlosen Kündigung, einer arbeitgeberseitigen außerordentlichen Kündigung mit Auslauffrist und einer hilfsweise außerordentlichen Änderungskündigung mit Auslauffrist.

Die beklagte Stadt betreibt eine Musikschule. Sie ist Mitglied beim kommunalen Arbeitgeberverband und wendet auf die bei ihr bestehenden Arbeitsverhältnisse die Tarifverträge des öffentlichen Dienstes an. Bei ihr ist ein Personalrat gebildet.

Der am xx. xx 1954 geborene Kläger ist aufgrund schriftlichen Arbeitsvertrags vom 2. November 1988 (Bl. 5 ff d.A.) seit dem 1. Januar 1989 bei der Beklagten als Leiter der Musikschule zu einem durchschnittlichen Bruttomonatsgehalt von zuletzt ca. 4.100,00 EUR brutto beschäftigt. Er unterrichtete im Rahmen seiner Tätigkeit für die Beklagte u.a. an der A-Schule (künftig: A). Neben seiner Tätigkeit als Leiter der Musikschule und außerhalb seines Arbeitsvertrags mit der Beklagten erteilte der Kläger mit Unterbrechungen seit vielen Jahren als Honorarkraft Musikunterricht an der B-Schule (künftig: B).

Bereits im Frühjahr 1991 war der Kläger von dem damaligen Bürgermeister der Beklagten ermahnt worden, dass er seine Nebentätigkeiten genehmigen lassen müsse. Im Mai 1994 zeigte der Kläger der Beklagten an, dass er im Rahmen eines Europaschulprojekts einer Unterrichtsstätigkeit an der B nachgehe (Bl. 73 d.A.). Auf Nachfrage der Beklagten aus dem Jahr 1996 betreffend ausgeübte Nebentätigkeiten erklärte der Kläger, ausschließlich die bereits bekannte Nebentätigkeit bei der B auszuüben.

Auch in der Folgezeit wurde der Kläger mehrfach schriftlich aufgefordert, ausgeübte Nebentätigkeiten anzuzeigen. Mit Schreiben vom 13. Dezember 2004 (Bl. 88, 89 d.A.) beantragte er die Genehmigung für seine musikalische Arbeit in einer Band und die ehrenamtliche Tätigkeit im C (C) als Landesvorsitzender. Er gab hierbei an, weitere genehmigungspflichtige oder anzeigepflichtige Nebentätigkeiten, die im selben Zeitraum lägen, übe er nicht aus.

Mit Schreiben vom 9. Februar 2005 (Bl. 90 d.A.) teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass beide Nebentätigkeiten - musikalische Arbeit in einer Band und ehrenamtliche Tätigkeit im C - nicht genehmigungspflichtig seien, er seiner Anzeigepflicht mit dem Schreiben vom 13. Dezember 2004 aber genügt habe.

Mit Schreiben vom 10. August 2005 (Bl. 93,94 d.A.) untersagte die Beklagte dem Kläger die Nebentätigkeit beim C, weil er diese Tätigkeit betreffende Aufgaben während seiner Arbeitszeit als Leiter der Musikschule wahrgenommen habe.

Der Kläger schloss am 1. September 2006 mi...

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