Entscheidungsstichwort (Thema)

Verspätete außerordentliche Kündigung bei unterlassener Anhörung des Arbeitnehmers infolge fehlerhafter Rückschlüsse aus dem Inhalt einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

 

Leitsatz (amtlich)

Alleine im Hinblick auf eine vom Arbeitnehmer vorgelegte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, die auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung hinweist, lässt sich nicht rückschließen, der Arbeitnehmer sei aktuell nicht in der Lage, sich mit den ihm gegenüber erhobenen Vorwürfen auseinander zu setzen bzw. dazu Stellung zu nehmen. Nur wenn sich der Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber entsprechend geäußert oder wenn der Arbeitgeber auf andere Weise entsprechende Hinweise erhalten hätte, könnte sich der Arbeitgeber mit Erfolg darauf berufen, eine Anhörung des Arbeitnehmers innerhalb der gebotenen kurzen Frist von einer Woche sei nicht durchführbar bzw. unter Fürsorgegesichtspunkten nicht zumutbar gewesen.

 

Normenkette

BGB § 626 Abs. 2; EFZG § 5 Abs. 1 S. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Hamburg (Entscheidung vom 25.11.2014; Aktenzeichen 17 Ca 233/14)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 25. November 2014 - 17 Ca 233/14 - wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz noch über die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses durch eine fristlose, hilfsweise außerordentliche Kündigung mit notwendiger Auslauffrist sowie über Weiterbeschäftigung und die Erteilung eines Zwischenzeugnisses.

Der am XX.XXX geborene Kläger ist seit dem 05. August 1991 bei der Beklagten als Hauswart zu einer monatlichen Vergütung in Höhe von zuletzt 3.058,00 € brutto beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft einzelvertraglicher Vereinbarung der Manteltarifvertrag für die Beschäftigten in der Wohnungswirtschaft (im Folgenden: MTV) in seiner jeweils gültigen Fassung Anwendung. Darin ist geregelt:

"§ 15

Kündigung

...

4. Beschäftigte, die mindestens 10 Jahre dem Betrieb angehören und 55 Jahre alt sind oder die 15 Jahre dem Betrieb angehören und 50 Jahre alt sind, sind nur aus wichtigem Grund kündbar. Ausgenommen sind zumutbare Änderungskündigungen und Kündigungen als Folge erheblicher Einschränkung durch Fortfall wesentlicher Unternehmensaufgaben.

..."

Der Kläger ist mit einem Grad der Behinderung von 60 als schwerbehinderter Mensch anerkannt. Er ist auf dem linken Auge blind.

Die Beklagte erhebt gegen den Kläger vier verschiedene Gruppen von Vorwürfen, die im Einzelnen zwischen den Parteien streitig sind. Zum einen habe der Kläger für den 19. März 2014 Arbeitszeiten gemeldet, die tatsächlich von ihm nicht abgeleistet worden seien. Zum zweiten habe der Kläger in drei verschiedenen Mietobjekten den Austausch von defekten Leuchtmitteln durch den Notdienst eines Fremdunternehmens mit der Begründung veranlasst, dass es sich dabei um Vandalismusschäden gehandelt habe, die die Versicherung der Beklagten erstattet habe, obwohl tatsächlich lediglich die Leuchtmittel hätten ausgetauscht werden müssen, wofür die Versicherung nicht einstandspflichtig gewesen sei. Zum dritten habe der Kläger in drei verschiedenen Mietobjekten ein Fremdunternehmen mit Instandsetzungsarbeiten beauftragt, obwohl er die erforderlichen Reparaturen selbst hätte vornehmen können. Zum vierten habe der Kläger den Austausch eines mieterseitig eingebauten Waschbeckens auf Kosten der Beklagten veranlassen wollen, obwohl die Mieterin diese Kosten selbst hätte tragen müssen.

Am 20. März 2014 kam es zu einem Personalgespräch, an dem der Kläger sowie drei Mitarbeiter der Beklagten teilnahmen. Es wurden von der Beklagten gegen den Kläger erhobene Vorwürfe erörtert. Nach ca. 40 Minuten brach der Kläger das Gespräch mit dem Hinweis auf gesundheitliche Probleme ab.

Am 20. März 2014 meldete sich der Kläger arbeitsunfähig krank. Die Erstbescheinigung der Arbeitsunfähigkeit bezieht sich auf den Zeitraum bis 28. März 2014, Folgebescheinigungen vom 31. März 2014 und 7. April 2014 beziehen sich auf die voraussichtliche Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit bis 4. April 2014 bzw. 11. April 2014.

Mit Schreiben vom 07. April 2014 forderte die Beklagte den Kläger auf, sich am 09. April 2014 um 17:00 Uhr in der Personalabteilung der Beklagten zu einem Gespräch einzufinden, um mit kündigungsrelevanten Sachverhalten vertraut gemacht zu werden und Gelegenheit zu erhalten, Erklärungen zum Sachverhalt oder seiner Unschuld vorzubringen. Mit Schreiben vom 08. April 2014 sagte der Prozessbevollmächtigte des Klägers den Gesprächstermin ab und schlug der Beklagten vor, die Anhörung schriftlich stattfinden zu lassen. Mit Schreiben vom 11. April 2014 hörte die Beklagte den Kläger zu den von ihr erhobenen Vorwürfen unter Fristsetzung bis zum 17. April 2014 an. Mit Schreiben vom 17. April 2014 nahm der Prozessbevollmächtigte des Klägers zu den Vorwürfen der Beklagten Stellung.

Mit Schreiben vom 23. April 2014 hörte die Beklagte den bei ihr bestehenden B...

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