Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, ausgestellte in der Türkei. Beweiswert. Entgeltfortzahlung. Erschütterung. Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Erkrankung im Ausland. Erschütterung des Beweiswertes einer in der Türkei ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
Leitsatz (amtlich)
Die Beweiskraft eines Arbeitsunfähigkeitsattestes, das in einem Staat, der nicht Mitglied der Europäischen Union ist, ausgestellt ist, ist erschüttert, wenn Umstände zusammenwirken wie die Erkrankung gegen Ende eines nur teilweise gewährten Heimaturlaubes sowie die Annahme im Attest, der Arbeitnehmer sei nach empfohlener 30tägiger Bettruhe wieder arbeitsfähig.
Normenkette
EFZG § 3 Abs. 1, § 5 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Ludwigshafen (Urteil vom 11.03.2010; Aktenzeichen 4 Ca 2752/09) |
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 11. März 2010 AZ: 4 Ca 2752/09, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten zuletzt über einen Entgeltfortzahlungsanspruch des Klägers für August 2009 und die Erteilung einer korrigierten Abrechnung.
Der am 28. Februar 1964 geborene, verheiratete und gegenüber vier Kindern zum Unterhalt verpflichtete Kläger ist seit über 25 Jahren bei der Beklagten als Hilfsarbeiter beschäftigt. Sein Bruttomonatsentgelt beträgt 2.000,22 EUR.
Mit Datum vom 15. Januar 2009 beantragte der Kläger Urlaub für die Zeit vom 20. Juli bis zum 21. August 2009. Dieser Urlaubsantrag wurde von der Beklagten mit der Begründung abgelehnt, in der Ferienzeit dürften nur drei Wochen Urlaub genommen werden. Am 8. Juli 2009 stellte der Kläger einen erneuten Urlaubsantrag, diesmal für die Zeit vom 3. August bis zum 21. August 2009. Diesen lehnte die Beklagte erneut ab und führte zur Begründung aus, „laut Urlaubsplan und Arbeitsaufkommen” sei „Urlaub nicht möglich”. Einen dritten Urlaubsantrag des Klägers vom 10. Juli 2009 für die Zeit vom 13. Juli bis zum 31. Juli 2009 genehmigte die Beklagte.
Zu Beginn seines Urlaubs fuhr der Kläger in sein Heimatland Türkei. Im August 2009 erschien er nicht zur Arbeit. Er legte ein Attest des Atasagun Krankenhauses und eine von ihm in Auftrag gegebene deutschsprachige Übersetzung vor. Danach befand er sich in der Zeit vom 27. bis 30. Juli 2009 stationär im Krankenhaus mit dem Befund „pheripherige Vertigo, Hypertension/Kopfschmerzen durch starke Druck”. Nach der Entlassung werden 30 Tage Bettruhe empfohlen, anschließend sei der Kläger wieder arbeitsfähig. Als Grund des Attestes ist „Arbeitsunfähigkeit” angegeben.
Die Beklagte zahlte für August 2009 keine Entgeltfortzahlung. Mit Schreiben vom 28. September 2009 forderte der Kläger die Beklagte vergeblich zur Auszahlung des Arbeitsentgelts auf.
Im Jahr 2009 war der Kläger in der Zeit vom 19. bis 23. Januar 2009 arbeitsunfähig. Am 24. Januar 2009 legte er eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wegen einer Fortsetzungserkrankung vor, die nach Überprüfung durch den medizinischen Dienst der I. S. nur bis zum 23. Januar 2009 anerkannt werden konnte. Weiter war der Kläger in der Zeit vom 15. bis 19. Juni 2009, 26. Juni bis 3. Juli 2009, 21. September bis 2. Oktober 2009 und 1. bis 18. Dezember 2009 arbeitsunfähig erkrankt.
Von einer wiederholenden Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes im Übrigen wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und stattdessen Bezug genommen auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 11. März 2010, Az. 4 Ca 2752/09 (Bl. 90 f. d. A.).
Der Kläger hat erstinstanzlich zuletzt beantragt,
- die Beklagte zu verurteilen, ihm den Arbeitslohn für den Monat August 2009 in Höhe von 2.000,22 EUR brutto zu zahlen,
- die Beklagte zu verurteilen, ihm für den Monat August 2009 eine korrigierte Abrechnung des Arbeitsentgelts in Textform zu erteilen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Durch das genannte Urteil hat das Arbeitsgericht Ludwigshafen die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht – zusammengefasst – ausgeführt: Der Kläger habe keinen Anspruch für August 2009 gemäß § 3 Abs. 1 EFZG. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift lägen nicht vor. Der Arbeitnehmer habe die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit nachzuweisen. Diesen Nachweis führe er in der Regel durch die Vorlage einer förmlichen, ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung im Sinn des § 5 Abs. 1 S. 1 EFZG. Der Kläger habe ein ärztliches Attest vorgelegt, die Beklagte habe dessen Beweiswert jedoch erschüttert. Erste Zweifel an der ärztlichen Bescheinigung ergäben sich aufgrund der im Vorfeld eingereichten Urlaubsanträge. Weitere Zweifel ergäben sich aus der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung selbst, aus der dort empfohlenen 30-tägigen Bettruhe und daraus, dass nach Ablauf dieses Zeitraums wieder Arbeitsfähigkeit bestehen solle, ohne dass laut Attest eine weitere Kontrolluntersuchung stattfinden sollte. Zwar habe der Kläger ergänzend vorgetragen, dass eine Kontrolluntersuchung 10 Tage nach der Entlassung stattg...