Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirksamkeit zu geringer Karenzentschädigung. Wahlrecht des Arbeitnehmers bei Wettbewerbsabrede. Maßgeblicher Wille bei Aufhebungsvertrag. Anspruch auf Zahlung von Karenzentschädigung
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Vereinbarung einer zu niedriger Karenzentschädigung führt nicht zur Unwirksamkeit der gesamten Wettbewerbsabrede, da der Arbeitnehmer auf die Gültigkeit vertrauen und demzufolge durch Geltendmachung der Karenzentschädigung sein Wahlrecht ausüben kann.
2. Die Parteien haben im Rahmen des Aufhebungsvertrags keine Abgeltungsklausel aufgenommen und es entspricht auch nicht dem Willen der Parteien, damit den Anspruch auf Zahlung von Karenzentschädigung zu vergleichen
Normenkette
HGB §§ 74, 75a, 75d; BGB §§ 133, 157
Verfahrensgang
ArbG Mainz (Entscheidung vom 23.01.2020; Aktenzeichen 5 Ca 741/19) |
Tenor
- Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz - Auswärtige Kammern Bad Kreuznach - vom 23. Januar 2020, Az.: 5 Ca 741/19, wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
- Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über Ansprüche aus einem Wettbewerbsverbot.
Der 1955 geborene, verheiratete Kläger war seit dem 1. September 1976 bei der Beklagten beschäftigt. Dem Arbeitsverhältnis lag sodann ein "Anstellungsvertrag für AT-Angestellte" vom 12. Januar 1987 (Bl. 10 ff. d. A.) zugrunde. Er enthält in § 8 Abs. 1 S. 3 folgende Kündigungsfrist:
"Während der Laufzeit kann das Anstellungsverhältnis beiderseitig unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von 6 Monaten zum Schluß eines Kalenderhalbjahres gekündigt werden. (...)"
Ebenfalls am 17. Januar 1987 schlossen die Parteien eine Vereinbarung über "zusätzliche besondere Arbeitsvertragsbedingungen". Diese lautet auszugsweise:
"§ 1
Der Arbeitnehmer verpflichtet sich, für die Dauer von 2 Jahren nach Beendigung des Anstellungsvertrages nicht in einem Unternehmen in der Bundesrepublik Deutschland und im europäischen Ausland tätig zu sein und nachstehendes Aufgabengebiet auszuführen:
- Entwurf und Optimierung optischer Systeme
- Durchführung von Optimierungen an bestehenden Systemen
- Durchführung kundenspezifischer Entwicklungen und Fertigungsunterstützung
(...)
§ 2
1) Die Firma verpflichtet sich, dem Arbeitnehmer für die Dauer des Wettbewerbsverbots eine Entschädigung in Höhe der Hälfte des zuletzt gezahlten Brutto-Monatsgehaltes zu zahlen.
2) Die Karenzentschädigung wird fällig am Schluß eines jeden Monats.
(...)
§ 5
Im Übrigen gelten die Vorschriften des HGB."
Unter dem 2. Juli 2018 (Bl. 32 d. A.) vereinbarten Parteien mit Wirkung zum 1. August 2018 eine Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit von 37,5 Stunden auf 24 Stunden, wobei die regelmäßige Arbeitszeit an vier Arbeitstagen pro Woche von montags bis donnerstags zu erbringen war. Auf dieser Grundlage bezog der Kläger im
August 2018
3.654,76 €,
September 2018
3.654,76 €,
Oktober 2018
3.654,76 €,
November 2018
5.654,03 €,
Dezember 2018
3.654,76 €,
Januar 2019
3.654,76 €,
Februar 2019
3.654,76 €,
März 2019 wegen anteiliger Kürzung wegen Kurzarbeitergeldes
3.246,82 € (Entgeltabrechnung Bl. 33 d. A.),
April 2019
3.727,69 € (Entgeltabrechnung Bl. 150 d. A.),
Mai 2019
6.161,80 € (Entgeltabrechnung Bl. 151 d. A.) und im
Juni 2019
4.654,38 € (Entgeltabrechnung Bl. 152 d. A.).
Der Kläger, bei dem ein Grad der Schwerbehinderung von 100 besteht, kündigte das Arbeitsverhältnis am 21. Januar 2019 ordentlich zum 31. Dezember 2019. Er nimmt seit dem 1. Mai 2019 die abschlagsfreie Rente für schwerbehinderte Menschen in Anspruch. Diese sieht eine Hinzuverdienstgrenze von 6.300,00 € pro Jahr vor. Überschreiten die Einkünfte des Klägers aus nichtselbstständiger Tätigkeit diesen Betrag, wird die Rente nicht mehr in voller Höhe oder eventuell gar nicht mehr gezahlt.
Ende Februar / Anfang März 2019 kam es bei der Beklagten zu internen Überlegungen, mit dem Kläger wegen der von ihm ausgesprochenen Kündigung, der wirtschaftlich angespannten Unternehmenssituation und der Möglichkeit des abschlagfreien Rentenbezugs einvernehmlich eine frühere Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu vereinbaren.
Am 25. März 2019 fand ein erstes Gespräch zwischen den Parteien über die Möglichkeit einer vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Aufhebungsvertrag im Beisein des Betriebsratsvorsitzenden Herrn H., eines weiteren Betriebsratsmitglieds sowie des Personalleiters, des Volljuristen D., statt.
Am 27. März 2019 kam es zu einem Gespräch zwischen dem Zeugen D. und Herrn H., bei dem Herr H. Herrn D. signalisierte, dass sich der Kläger grundsätzlich eine frühere Beendigung seines Arbeitsverhältnisses gut vorstellen könne.
Am 8. April 2019 wurde ein weiteres Gespräch im Beisein des Klägers, des Zeugen D. und des Betriebsratsvorsitzenden Herrn H. geführt. Hinsichtlich der Abfindung wurde - ganz grob - der Verdienst für den Zeitraum vom 1. Juli 2019 bis 31. Dezember 2019 berechnet und den Rentenbezügen für denselben Zeitraum gegenüber gestellt; die Differenz wurde schließlich - ebenfalls ganz grob - hälftig geteilt,...