Entscheidungsstichwort (Thema)

Pflicht des Arbeitgebers zur Anpassung der Betriebsrenten an die Entwicklung der gesetzlichen Renten aufgrund einer Betriebsvereinbarung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Sieht eine Versorgungsordnung vor, dass sich die zugesagten Versorgungsbezüge jährlich entsprechend der Anpassung der gesetzlichen Renten erhöhen, sofern der Arbeitgeber keine hiervon abweichende Entscheidung trifft, so liegt ein Anspruch mit einem Änderungsvorbehalt vor. Ein solcher Vorbehalt kann grundsätzlich auch in einer Betriebsvereinbarung geregelt werden.

2. Die Auslegung der konkreten Versorgungsordnung ergibt, dass der Arbeitgeber von diesem Vorbehalt nur unter engen Voraussetzungen Gebrauch machen kann. Die Anpassung entsprechend der gesetzlichen Renten darf "nicht vertretbar" sein. Hierfür muss der Arbeitgeber darlegen, dass seine eigene wirtschaftliche Leistungsfähigkeit ihm eine Anpassung im eigentlich geschuldeten Umfang nicht ermöglicht (Abweichung vom Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 22.02.2017 - 6 Sa 972/16 -).

 

Normenkette

BetrAVG § 16

 

Verfahrensgang

AG Koblenz (Entscheidung vom 26.04.2017; Aktenzeichen 12 Ca 2422/16)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 11.04.2019; Aktenzeichen 3 AZR 305/18)

 

Tenor

  1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 26.04.2017 - 12 Ca 2422/16 - wird zurückgewiesen.
  2. Auf die Anschlussberufung des Klägers wird Ziffer 2 dieses Urteils abgeändert und wie folgt neu gefasst:

    Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 985,68 € brutto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz aus jeweils 82,14 € brutto seit dem 02.07.2016, 02.08.2016, 02.09.2016, 02.10.2016, 02.11.2016, 02.12.2016, 02.01.2017, 02.02.2017, 02.03.2017, 02.04.2017, 02.05.2017, 02.06.2017 zu zahlen.

  3. Die Beklagte hat die Kosten beider Rechtszüge zu tragen.
  4. Für die Beklagte wird die Revision zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits streiten darüber, ob und inwieweit die Beklagte zur Anpassung von Versorgungsbezügen beginnend mit den Jahren 2015 und 2016 verpflichtet ist.

Der Kläger war vom 01.04.1989 bis zum 31.12.2010 bei einem Unternehmen des V.-Konzerns, der Rechtsvorgängerin der Beklagten, beschäftigt, zuletzt in K.. Seit dem 01.01.2011 bezieht er von der Beklagten eine Altersrente auf der Grundlage der Bestimmungen des Tarifvertrages über die betriebliche Altersversorgung (VO 85). Die VO 85, hinsichtlich deren Inhalts auf Bl. 395 bis Bl. 410 d.A. Bezug genommen wird, ist ein Tarifvertrag, dessen persönlicher und zeitlicher Anwendungsbereich sich auf Arbeitnehmer erstreckt, deren Arbeitsverhältnis nach dem 31.03.1985 begründet worden ist.

Die Beklagte leistet an den Kläger auf der Grundlage der VO 85 seit dem 01.01.2011 eine betriebliche Altersrente (die in der Verdienstabrechnung des Klägers als "VOFUE-RENTE VO85" bezeichnet wird).

Im TV VO 85 ist - auszugsweise - Folgendes geregelt:

"§ 1 Geltungsbereich

1. Diese Versorgungszusage gilt für die Arbeitnehmer der V. Unternehmensgruppe, ausgeschlossen sind ...

2. Die Versorgungszusage gilt nicht für diejenigen Arbeitnehmer, die bis zum 31.03.1985 Arbeitnehmer im Sinne der Ziffer 1 geworden sind.

3. Auf die Versorgungsleistungen besteht ein Rechtsanspruch. Die V. Unternehmen behalten sich aber vor, durch Beschlüsse im Vorstand und Aufsichtsrat die Leistungen zu kürzen oder einzustellen, wenn die bei Erteilung der Versorgungszusage maßgebenden Verhältnisse sich nachhaltig so wesentlich geändert haben, daß den V. Unternehmen die Aufrechterhaltung der zugesagten Leistungen auch unter objektiver Beachtung der Belange des Versorgungsberechtigten nicht mehr zugemutet werden kann.

...

§ 6 Anpassung der Renten

1. Die Renten werden jeweils entsprechend der gemäß § 49 AVG vorgegebenen Entwicklung der Renten der gesetzlichen Rentenversicherung angepasst.

2. Die Anpassung der Renten erfolgt zum gleichen Zeitpunkt, zu dem die Renten der gesetzlichen Rentenversicherung verändert werden.

(Der § 49 AVG ist durch Artikel 1 §§ 65 und 68 SGB (VI) neu gefaßt worden. Die Änderung ist am 01.01.1992 in Kraft getreten).

3. Die Renten werden angepaßt, wenn der Versorgungsfall vor dem 01.12. des Vorjahres eingetreten ist.

4. Hält der Vorstand die Veränderung der Renten nach Ziffer 1 nicht für vertretbar, so schlägt er nach Anhören der Betriebsräte/des Gesamtbetriebsrates dem Aufsichtsrat zur gemeinsamen Beschlussfassung vor, was nach seiner Auffassung geschehen soll.

Die Beschlussfassung ersetzt die Anpassung gemäß Ziffer 1.

§ 7 Zahlung der Renten

1. Die Renten werden monatlich im voraus am Ersten eines jeden Monats gezahlt.

..."

Die insoweit vorgesehene Anpassungsregelung ist im Wesentlichen inhaltlich identisch mit § 6 der Ausführungsbestimmungen des betrieblichen Versorgungswerks ("bVW") in der Fassung vom 19.04.2002, der für die überwiegende Anzahl von Ruhegeldempfängern der Beklagten gilt. Dort heißt es unter Ziffer 3:

"Hält der Vorstand die Veränderung der Gesamtversorgungsbezüge nach Ziffer 1 nicht für vertretbar, so schlägt er nach Anhören der Betri...

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