Entscheidungsstichwort (Thema)
Einseitiges Leistungsbestimmungsrecht des Arbeitgebers bei der Betriebsrentenanpassung. Leistungsbestimmungsrecht und Ausübung billigen Ermessens
Leitsatz (redaktionell)
1. Räumt die Versorgungsordnung dem Arbeitgeber ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht bei der Rentenanpassung ein, kommt es darauf an, ob diese Anpassung "nicht vertretbar" ist. Dies ist der Fall, wenn objektiv feststeht, dass eine Anpassung der Betriebsrenten für das Unternehmen aus wirtschaftlichen Gründen nicht hinnehmbar ist.
2. Bei der Ausübung des Leistungsbestimmungsrechts hat der Arbeitgeber im Rahmen billigen Ermessens zu handeln. Das ist der Fall, wenn die wesentlichen Umstände des Falles abgewogen und die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigt werden. Ob die Anpassungsentscheidung der Billigkeit entspricht, unterliegt der vollen gerichtlichen Kontrolle.
Normenkette
BGB § 315; TVG §§ 1 ff.; BetrAVG § 16 Abs. 1; BGB § 315 Abs. 1, 3 S. 2; TVbetrieblicheAltersversorgung § 6 Nrn. 1, 4 S. 1
Verfahrensgang
ArbG Koblenz (Entscheidung vom 26.04.2017; Aktenzeichen 12 Ca 2422/16) |
Tenor
- Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 26.04.2017 - 12 Ca 2422/16 - wird zurückgewiesen.
Ziffer 1. des Urteilstenors wird zur Klarstellung wie neu gefasst:
der 01.05.2017 wird durch 01.06.2017 ersetzt, der Satz endet mit "... bis zum 22.09.2019 zu zahlen."
- Auf die Anschlussberufung der klagenden Parteien wird Ziffer 2. dahin geändert, dass die Beklagte verurteilt wird, an die klagenden Parteien insgesamt einen Betrag in Höhe von insgesamt 985,68 € brutto, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus jeweils 82,14 € brutto seit dem 02.07.2016, dem 02.08.2016, dem 02.09.2016, dem 05.10.2016, dem 03.11.2016, dem 02.12.2016, dem 03.01.2017, dem 02.02.2017, dem 02.03.2017, dem 04.04.2017, dem 03.05.2017 sowie dem 02.06.2017, zu zahlen (Bl. 1301 d.A. Ziffer 4.).
- Die Beklagte hat die Kosten beider Rechtszüge zu tragen einschließlich der Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens zu tragen.
- Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits streiten darüber, ob und inwieweit die Beklagte zur Anpassung von Versorgungsbezügen beginnend mit den Jahren 2015 und 2016 verpflichtet ist.
Der Kläger war vom 01.04.1989 bis zum 31.12.2010 bei einem Unternehmen des V.-Konzerns, der Rechtsvorgängerin der Beklagten, beschäftigt, zuletzt in Koblenz. Seit dem 01.01.2011 bezieht er von der Beklagten eine Altersrente auf der Grundlage der Bestimmungen des Tarifvertrages über die betriebliche Altersversorgung (VO 85). Die VO 85, hinsichtlich deren Inhalts auf Bl. 395 bis Bl. 410 d. A. Bezug genommen wird, ist ein Tarifvertrag, dessen persönlicher und zeitlicher Anwendungsbereich sich auf Arbeitnehmer erstreckt, deren Arbeitsverhältnis nach dem 31.03.1985 begründet worden ist.
Die Beklagte leistet an den Kläger auf der Grundlage der VO 85 seit dem 01.01.2011 eine betriebliche Altersrente (die in der Verdienstabrechnung des Klägers als "VOFUE-RENTE VO85" bezeichnet wird).
Im TV VO 85 ist - auszugsweise - Folgendes geregelt:
"§ 1 Geltungsbereich
1. Diese Versorgungszusage gilt für die Arbeitnehmer der V. Unternehmensgruppe, ausgeschlossen sind ...
2. Die Versorgungszusage gilt nicht für diejenigen Arbeitnehmer, die bis zum 31.03.1985 Arbeitnehmer im Sinne der Ziffer 1 geworden sind.
3. Auf die Versorgungsleistungen besteht ein Rechtsanspruch. Die V. Unternehmen behalten sich aber vor, durch Beschlüsse im Vorstand und Aufsichtsrat die Leistungen zu kürzen oder einzustellen, wenn die bei Erteilung der Versorgungszusage maßgebenden Verhältnisse sich nachhaltig so wesentlich geändert haben, daß den V. Unternehmen die Aufrechterhaltung der zugesagten Leistungen auch unter objektiver Beachtung der Belange des Versorgungsberechtigten nicht mehr zugemutet werden kann.
...
§ 6 Anpassung der Renten
1. Die Renten werden jeweils entsprechend der gemäß § 49 AVG vorgegebenen Entwicklung der Renten der gesetzlichen Rentenversicherung angepasst.
2. Die Anpassung der Renten erfolgt zum gleichen Zeitpunkt, zu dem die Renten der gesetzlichen Rentenversicherung verändert werden.
(Der § 49 AVG ist durch Artikel 1 §§ 65 und 68 SGB (VI) neu gefaßt worden. Die Änderung ist am 01.01.1992 in Kraft getreten).
3. Die Renten werden angepaßt, wenn der Versorgungsfall vor dem 01.12. des Vorjahres eingetreten ist.
4. Hält der Vorstand die Veränderung der Renten nach Ziffer 1 nicht für vertretbar, so schlägt er nach Anhören der Betriebsräte/des Gesamtbetriebsrates dem Aufsichtsrat zur gemeinsamen Beschlussfassung vor, was nach seiner Auffassung geschehen soll.
Die Beschlussfassung ersetzt die Anpassung gemäß Ziffer 1.
§ 7 Zahlung der Renten
1. Die Renten werden monatlich im voraus am Ersten eines jeden Monats gezahlt.
..."
Die insoweit vorgesehene Anpassungsregelung ist im Wesentlichen inhaltlich identisch mit § 6 der Ausführungsbestimmungen des betrieblichen Versorgungswerks ("bVW") in der F...