Entscheidungsstichwort (Thema)

Schwerbehinderter. Sonderkündigungsschutz. Ausschluss von Sonderkündigungsschutz für schwerbehinderte Menschen?

 

Leitsatz (redaktionell)

§ 90 Abs. 2a SGB IX ist dahin auszulegen, dass der Sonderkündigungsschutz einem Schwerbehinderten dann zugute kommt, wenn im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung entweder die Schwerbehinderteneigenschaft nachgewiesen ist oder ein Anerkennungsantrag gestellt wurde und die fehlende Entscheidung des Versorgungsamtes nicht auf fehlende Mitwirkung des Arbeitnehmers zurückzuführen ist (Aufgabe von LAG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 16.03.2005 – 9 Sa 961/04).

 

Normenkette

SGB IX § 90 Abs. 2a

 

Verfahrensgang

ArbG Mainz (Urteil vom 06.12.2005; Aktenzeichen 8 Ca 19/05)

 

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 06.12.2005, Az. 8 Ca 19/05 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Rechtswirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.

Von einer wiederholenden Darstellung des unstreitigen Tatbestandes sowie des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und auf die Zusammenfassung im Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 06.12.2005 (dort S. 2 – 7 = Bl. 179 – 184 d. A.) Bezug genommen.

Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung vom 16.12.2004 nicht beendet worden ist.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht Mainz hat entsprechend seinem Beweisbeschluss vom 11.11.2005 (Bl. 171 ff. d. A.) Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen X. und W.; wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt des Sitzungsprotokolles vom 11.11.2005 (Bl. 172 ff. d. A.) verwiesen.

Sodann hat das Arbeitsgericht mit Urteil vom 06.12.2005 (Bl. 178 ff. d. A.) festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung vom 16.12.2004 nicht beendet worden ist. Zur Begründung dieser Entscheidung hat das Arbeitsgericht im Wesentlichen ausgeführt, die streitgegenständliche Kündigung sei unwirksam, da die nach § 85 SGB IX notwendige Zustimmung des Integrationsamtes zuvor nicht vorgelegen habe. Dem Schwerbehindertenausweis des Klägers vom 18.02.2005 sei zu entnehmen, dass der Grad der Behinderung von 50 bereits am 02.11.2004, mithin bereits vor der Kündigung gegeben gewesen sei.

Die Regelung des § 85 SGB IX sei auch nicht gem. § 90 Abs. 2 a SGB IX ausgeschlossen. Durch diese sprachlich missglückte Vorschrift solle ausgedrückt werden, dass der Sonderkündigungsschutz erst bestehe, wenn die Schwerbehinderung durch das Ergehen eines Bescheides nach § 69 SGB IX nachgewiesen ist oder das Versorgungsamt eine Feststellung über die Schwerbehinderung innerhalb der gesetzlichen Fristen nicht treffe, obwohl der Arbeitnehmer seine Mitwirkungspflichten erfüllt habe. Hinter dem nicht eindeutigen Wortlaut dieser gesetzlichen Regelung stehe der gesetzgeberische Wille, einem Missbrauch des besonderen Kündigungsschutzes für schwerbehinderte Menschen entgegen zu wirken, da Anträge auf Anerkennung als schwerbehinderter Mensch in der Vergangenheit oftmals darauf beruht hätten, dass unmittelbar vor Zugang der Kündigung ein in der Regel aussichtsloses Anerkennungsverfahren betrieben worden sei. Die Vermeidung solcher Missbrauchsfälle werde aber schon dann erreicht, wenn nur jenem Arbeitnehmer, der das Anerkennungsverfahren zögerlich betreibe und die erforderliche Mitwirkung nicht erbringe, der besondere Kündigungsschutz versagt bleibe, falls das Versorgungsamt nicht innerhalb der Fristen der §§ 69, 14 SGB IX eine Entscheidung habe fällen können. Soweit sich die Beklagte demgegenüber auf eine Entscheidung des Landesarbeitsgerichtes Rheinland-Pfalz vom 16.03.2005 (Az. 9 Sa 961/04) berufe, sei der dortige Fall mit dem streitgegenständlichen nicht vergleichbar, da dort nur die rückwirkende Feststellung der Eigenschaft als gleichgestellter behinderter Mensch im Streit gewesen sei.

Die verspätete Feststellung der Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch beruhe im gegebenen Fall nicht auf der fehlenden Mitwirkung des Klägers; dies sei zwischen den Parteien unstreitig.

Darüber hinaus habe der Kläger die Beklagte auch innerhalb eines Monats nach Kündigungszugang über das Anerkennungs- bzw. Gleichstellungsverfahren unterrichtet. In seinem Schreiben vom 13.01.2005 habe er zwar nur darauf hingewiesen, dass er sich hinsichtlich der streitgegenständlichen Kündigung auf seine Rechte als gleichgestellter behinderter Mensch berufe, jedoch genüge diese Mitteilung – trotz der unterschiedlich ausgestalteten Verfahren auf Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft bzw. auf Gleichstellung – den an die Mitteilung des Anerkennungsverfahrens als schwerbehinderter Mensch zu stellenden Anforderung. Aufgrund der Mitteilung sei nämlich der Beklagten bewusst gewesen, dass die von ihr ausgesprochene Kündigung möglicherweise wegen eines Verstoßes gegen die Vorschriften des 4. Kapitels des SGB IX unwirksam se...

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