Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Wiedereinsetzung bei Fristversäumnis nach § 626 Abs. 2 BGB. Anforderungen an Fristaufschub bei § 626 Abs. 2 BGB. Darlegungs- und Beweislast beim Arbeitgeber für Vorliegen eines wichtigen Grundes. Sexuelle Belästigung bei Bewirken der Verletzung der persönlichen Würde. Erforderliches Beweismaß bei gerichtlicher Würdigung nach § 286 ZPO

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Für eine sexuelle Belästigung i.S.d. § 3 Abs. 4a GG reicht ein einmaliges, unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten aus, das sich gegen die Würde der betreffenden Person richtet und diese verletzt.

2. Der wichtige Grund des § 626 Abs. 1 BGB ist zweistufig zu prüfen: der Grund an sich muss geeignet sein, und zum anderen muss dem Arbeitgeber die Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist aus Gründen der Verhältnismäßigkeit unzumutbar sein.

3. Die materiell-rechtliche Ausschlussfrist von 2 Wochen nach § 626 Abs. 2 BGB wird durch eine Anhörung des Arbeitnehmers nur unterbrochen, wenn diese keinen längeren Zeitraum als eine Woche in Anspruch nimmt.

4. Das Gericht hat bei der Prüfung des wichtigen Kündigungsgrundes nach freier Überzeugung den gesamten Inhalt des Sachverhaltes für wahr oder unwahr zu erachten (Grundsatz der Beweiswürdigung nach § 286 Abs. 1 ZPO).

5. Bei einer Verdachtskündigung muss der Arbeitnehmer vor Ausspruch der Kündigung zum dringenden Tatverdacht angehört werden.

 

Normenkette

BGB § 626; KSchG § 9; ZPO § 286; ArbGG § 69 Abs. 2; AGG § 3 Abs. 4, § 12 Abs. 3

 

Verfahrensgang

ArbG Ludwigshafen (Entscheidung vom 19.12.2019; Aktenzeichen 3 Ca 1025/18)

 

Tenor

  1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 19.12.2019 - Az.: 3 Ca 1025/18 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
  2. Die Revision wird nicht zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits streiten insbesondere darüber, ob das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis aufgrund zweier außerordentlicher fristloser Kündigungen, jeweils nebst hilfsweise ausgesprochener außerordentlicher Kündigungen mit (sozialer) Auslauffrist, oder durch die seitens der Beklagten beantragte Auflösung des Arbeitsverhältnisses sein Ende gefunden hat, sowie darüber, ob dem Kläger gegenüber der Beklagten ein Anspruch auf Erteilung eines Zwischenzeugnisses zusteht.

Der 1956 geborene, verheiratete Kläger ist Vater von zwei Kindern. Er ist seit 1984 bei der Beklagten, die in der Regel mehr als 10 Arbeitnehmer beschäftigt, in derer Einrichtung M. Klinikum H. N./W. beschäftigt. Die Beklagte betreibt insgesamt 15 Krankenhäuser. Auf das Arbeitsverhältnis finden kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarung die AVR Caritas Anwendung. Gemäß § 14 Abs. 5 AVR ist das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien ordentlich unkündbar.

Der Kläger hat zuletzt die Funktion eines Pflegedienstleiters und OP-Koordinators ausgeübt; seine monatliche Durchschnittsvergütung beträgt 8.106,00 € brutto. Nach der von der Beklagten vorgegeben Zielsetzung der Stelle setzt der OP-Koordinator die Dienstanweisung "OP-Koordination" um und ist insgesamt zuständig für das operative OP-Management. Er ist vom Direktorium des Klinikums mit der Umsetzung der festgelegten Rahmenbedingungen in der OP-Tagesplanung beauftragt; ihm stehen die damit verbundenen Kompetenzen zu. Er ist verantwortlich für eine optimale Durchlaufsteuerung. Dies erfordert ein stringentes Wirtschaften mit den begrenzten Ressourcen Personal-, Raum-, und Materialkapazitäten. Insoweit wird wegen der Einzelheiten auf die Stellenbeschreibung vom 14.11.2011 (Bl. 373 f. d. A.) sowie auf die Verfahrensanweisung OP-Koordination (Stand 28.03.2016, Bl. 448 d. A.) Bezug genommen. Nach der organisatorischen Einordnung nach Maßgabe der Stellenbeschreibung ist der Kläger Mitarbeiter im Pflegedienst; sein unmittelbarer Vorgesetzter ist das Direktorium des Klinikums. Nach der Verfahrensanweisung OP-Koordination werden 6 bzw. 7 OP-Tische besetzt, mit einer Betriebszeit von 8,2 Stunden. Nach der Verfahrensanweisung zur Vermeidung von Eingriffsverwechslungen vom 01.06.2012, hinsichtlich deren Inhalts im Übrigen auf Bl. 551 d. A. Bezug genommen wird, war der Kläger als OP-Koordinator berechtigt und verpflichtet, nicht markierte Patienten abzuweisen.

Der OP-Bereich des Krankenhauses besteht aus drei Etagen. Auf der ersten Etage befindet sich die urologische Funktion. Auf der zweiten Etage befindet sich der Zentral-OP, wo die meisten stationären chirurgischen Eingriffe durchgeführt werden. Der Zentral-OP ist organisatorisch noch einmal untergliedert in die OP-Trakte A und B. Auf der dritten Etage befindet sich der "Sectio-OP", in dem zusätzlich noch ambulante Operationen durchgeführt werden. Zur Wahrnehmung seiner Tätigkeit als OP-Koordinator verfügte der Kläger über zwei Büros innerhalb des Krankenhauses. Eines davon ist die "OP-Leitstelle". Diese befindet sich zentral in der zweiten Etage und dort im OP-Trakt A nahe des Übergangs zu OP-Trakt B; hinsichtlich des Grundrisses des Zentral-OPs wird auf Bl. 375 d. A. Bezug genommen. ...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge