Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsrat. Unterlassungsanspruch des Betriebsrats. Grober Verstoß. Benachteiligung. Altersdiskriminierung. Streitwertfestsetzung. Beschlussverfahren. Stellenausschreibung
Leitsatz (redaktionell)
1. Eine Stellenausschreibung für Verkaufspersonal im Einzelhandel, die nur die erste Gehaltsgruppe im ersten Beschäftigungsjahr eines Gehaltstarifvertrags vorsieht, ist mittelbar altersdiskriminierend.
2. Das Benachteiligungsverbot nach § 7 AGG schützt alle Beschäftigten gem. § 6 AGG, also auch die im Betrieb noch nicht beschäftigten Stellenbewerber.
3. Eine altersdiskriminierende Stellenausschreibung stellt einen groben Verstoß gegen Vorschriften aus dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz dar und gibt dem Betriebsrat gem. § 23 Abs. 3 S. 1 BetrVG einen Unterlassungsanspruch.
4. Im Beschluss nach § 84 ArbGG findet eine Wertfestsetzung nicht statt, denn § 61 Abs. 1 ArbGG ist im Beschlussverfahren nicht entsprechend anwendbar.
Normenkette
BetrVG § 23 Abs. 3 S. 1; AGG §§ 1, 3 Abs. 2, §§ 6-7, 10-11, 17 Abs. 2; RVG § 23; ArbGG § 61 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Saarbrücken (Beschluss vom 13.03.2008; Aktenzeichen 1 BV 36/07) |
Tenor
Die Beschwerde der Beteiligten zu 2. gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts S. vom 13.3.2008, 1 BV 36/07, wird zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Tatbestand
I.
Der Betriebsrat wendet sich mit dem vorliegenden Beschlussverfahren gegen betriebsübliche Stellenausschreibungen des Arbeitgebers, die er für altersdiskriminierend hält.
Der Arbeitgeber (Beteiligter zu 2. und Beschwerdeführer) betreibt bundesweit eine Vielzahl kleiner Drogeriemärkte, deren Verkaufsstellen i.d.R. mit nur wenigen Mitarbeiterinnen besetzt sind. Der Betriebsrat (Beteiligter zu 1. und Beschwerdegegner) ist die gewählte Arbeitnehmervertretung für die Verkaufsstellen des Bezirks T., die als Betrieb angesehen werden. Der Sitz der Bezirksleiterin ist das Verkaufsbüro in S..
In Formular-Stellenausschreibungen- es sind fünf streitgegenständlich mit Datum vom 07.05.2007, 04.06.2007 und 09.07.2007 (Bl. 6–10 d.A.) – wendet sich der Arbeitgeber in der Person der Bezirksleiterin an alle Verkaufsstellen des Bezirks T. bzw. deren Verkaufsstellenmitarbeiterinnen und erklärt, in bestimmten Verkaufsstellen zu bestimmten Wochenstunden vakante Verkaufsstellen mit Neueinstellungen besetzen zu wollen. Ferner heißt es: „Die Eingruppierung erfolgt nach dem gültigen Tarifvertrag für das Bundesland Rheinland/Pfalz G I 1. Jahr.”
Der Gehaltstarifvertrag Einzelhandel Rheinland-Pfalz sieht – wie die Gehaltstarifverträge des Einzelhandels vieler anderer Bundesländer – 5 Gehaltsgruppen vor, die jeweils Gehaltsstaffeln enthalten für das 1. bis 5. Berufsjahr bzw. für die Gehaltsgruppe 1 für das 1. bis 4. Tätigkeitsjahr. Die Gehaltsgruppe I beinhaltet: „Angestellte mit einfacher kaufmännischer oder technischer Tätigkeit, die weder eine abgeschlossene Berufsausbildung noch eine dreijährige Berufstätigkeit nachweisen können.”
Die neu einzustellenden Arbeitskräfte – i.d.R. ist Teilzeit vorgesehen – sollen somit in die 1. Gehaltsgruppe, 1. Beschäftigungsjahr eingruppiert werden, was der Arbeitgeber auch praktiziert.
Mit Schreiben vom 19.07.2007 hat der Betriebsrat über seine Verfahrensbevollmächtigte mitgeteilt, dass mit dieser Ausschreibungspraxis gegen §§ 1, 2 I Nr. 1, 3 I AGG verstoßen werde, weil sie altersdiskriminierend sei. Ältere Arbeitskräfte verfügten nicht mehr über die Zulassungsvoraussetzungen, weil sie im allgemeinen über eine weitergehende Berufserfahrung verfügen, so dass sie sich trotz der erworbenen Qualifikation auf dem Arbeitsmarkt für die ausgeschriebenen Stellen als Verkäuferin nicht bewerben könnten. Diese rechtswidrige Einstellungspraxis sei bereits mehrfach vom Betriebsrat gerügt worden, ohne dass bisher eine Änderung eingetreten sei. Bis spätestens 30.07.2007 möge der Arbeitgeber erklären, dass er zukünftig auf diese Ausschreibungsmerkmale verzichtet.
Mit Schreiben vom 26.07.2007 (Bl. 13 d.A.) teilte die Verkaufsleiterin des damaligen Verkaufsbüros S. mit, dass weiterhin an den Ausschreibungen festgehalten werde. Die Auswahlkriterien und Einstellungsbedingungen seien keinesfalls altersdiskriminierend.
Daraufhin hat der Betriebsrat mit Schriftsatz seiner Verfahrenbevollmächtigten vom 27.08.2007, die am 29.08.2007 beim Arbeitsgericht S. eingegangen ist, das vorliegende Beschlussverfahren angestrengt.
Er meint, dem Kontrollrecht des Betriebsrates unterfielen auch die Bedingungen für den Zugang zur Erwerbstätigkeit. Zusätzlich habe der Betriebsrat gem. § 75 I 2 BetrVG darüber zu wachen, dass Arbeitnehmer nicht wegen Überschreitung bestimmter Altersstufen benachteiligt werden.
Der von § 17 II 1 AGG geforderte Verstoß setze anders als § 23 III 1 BetrVG keinen kollektivrechtlichen Bezug voraus. Es sei auch nicht erforderlich, dass der Arbeitgeber gegen Pflichten des AGG verstößt, die sich auf die betriebsverfassungsrechtliche Stellung des Betriebsrats oder der Gewerkschaften beziehen.
§ 2 a I ArbGG begründe eine ...