Entscheidungsstichwort (Thema)
Bestellung einer Einigungsstelle für Sozialplanverhandlungen. Wahl des Betriebsrats nach Betriebsänderung. Offensichtliche Unzuständigkeit
Leitsatz (redaktionell)
Die Einigungsstelle für einen Sozialplan ist auch dann nicht offensichtlich unzuständig, wenn der Betriebsrat erst zu einem Zeitpunkt gewählt wird, zu dem sich der Unternehmer bereits zur Stilllegung des Betriebs entschlossen und mit der Durchführung der Stilllegung bereits begonnen hat.
Normenkette
ArbGG § 98; BetrVG §§ 112, 111
Verfahrensgang
ArbG Neunkirchen (Beschluss vom 28.03.2003; Aktenzeichen 1 BV 5/03) |
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird derBeschluss des Arbeitsgerichts Neunkirchen vom28.3.2003 (1 BV 5/03) dahin abgeändert, dass zum Vorsitzenden einer Einigungsstelle – deren Aufgabe es sein soll, eine Einigung zwischen der Antragsgegnerin und dem Antragsteller über einen Sozialplan zu erreichen – der Direktor des Arbeitsgerichts Saarbrücken, Herr Dr. E. F., bestellt wird; von jeder Seite sind zwei Beisitzer zu bestellen.
Tatbestand
A.
Die Antragsgegnerin unterhielt in Blieskastel eine Gießerei. Beschäftigt waren 68 wahlberechtigte Arbeitnehmer. Der Betrieb ist inzwischen geschlossen. Der Antragsteller ist der am 29. November 2002 gewählte Betriebsrat des Unternehmens.
Beschlossen wurde die Stilllegung des Betriebes – nachdem bereits längere Zeit Kurzarbeit geleistet worden war – am 25. September 2002. Von dem Entschluss, den Betrieb zum 31. März 2003 stillzulegen, unterrichtete der Geschäftsführer der Antragsgegnerin die Belegschaft des Betriebes einen Tag später, am 26. September 2002; noch am selben Tag erhielt die Mehrzahl der Arbeitnehmer die Kündigung zum 31. März 2003.
Am 29. August 2002 hatten Vertreter der IG Metall mit dem Geschäftsführer der Antragsgegnerin vereinbart, dass am 9. Oktober 2002 eine Betriebsversammlung zur Wahl eines Wahlvorstandes – zur Vorbereitung und Durchführung der Wahl eines Betriebsrats – stattfinden sollte; dass ein Betriebsrat gewählt werden sollte, war der Antragsgegnerin seit dem 25. Juli 2002 bekannt. Am 29. August 2002 erfolgte auch die Einladung der Belegschaft zu der Betriebsversammlung. Am 9. Oktober 2002 wurde ein Wahlvorstand gewählt. Der Betriebsrat wurde am 29. November 2002 gewählt, am 3. Dezember 2002 trat er zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen.
Im Anschluss daran verlangte der Betriebsrat die Aufnahme von Verhandlungen über einen Interessenausgleich und einen Sozialplan. Solche Verhandlungen lehnte die Antragsgegnerin unter Hinweis darauf ab, dass zu dem Zeitpunkt, zu dem sie sich entschlossen habe, den Betrieb stillzulegen, noch kein Betriebsrat bestanden habe. Daraufhin leitete der Antragsteller beim Arbeitsgericht Neunkirchen ein Verfahren zur Bestellung eines Vorsitzenden für eine Einigungsstelle ein. Diesen Antrag nahm der Antragsteller am 25. Februar 2003 zurück, nachdem der Geschäftsführer der Antragsgegnerin in dem Termin beim Arbeitsgericht erklärt hatte, er werde sich bei der Gesellschafterversammlung darum bemühen, dass ein angemessener Betrag für einen Sozialplan bereitgestellt werde. Zu letzterem kam es jedoch nicht.
Im Hinblick darauf beanspruchte der Antragsteller in dem vorliegenden Verfahren erneut die Bestellung eines Vorsitzenden für eine Einigungsstelle. Diesen Antrag hat das Arbeitsgericht zurückgewiesen. Das Arbeitsgericht hat ausgeführt, der Antrag sei unbegründet, weil die Einigungsstelle offensichtlich unzuständig wäre. Ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach den §§ 111 ff BetrVG bestehe nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht, wenn der Betriebsrat zu dem Zeitpunkt, zu dem der Arbeitgeber die Betriebsänderung beschlossen habe, noch nicht bestanden habe. Daran habe sich durch die im Jahre 2001 erfolgte Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes nichts geändert. Hier habe im September 2002 in dem Betrieb kein Betriebsrat bestanden. Die Amtszeit eines früher vorhandenen Betriebsrats sei, selbst ausgehend von dem Vortrag des Antragstellers, Ende Mai 2002 abgelaufen gewesen, nach dem Vortrag der Antragsgegnerin sogar bereits Ende Mai 1998. Der neue Betriebsrat sei erst am 29. November 2002 gewählt worden. In einem solchen Fall könne nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auch dann nicht die Aufstellung eines Sozialplans verlangt werden, wenn der Arbeitgeber vor seinem Entschluss, den Betrieb stillzulegen, gewusst habe, dass ein Betriebsrat gewählt werden solle. Der Auffassung des Bundesarbeitsgerichts habe sich die Literatur fast einhellig angeschlossen. Der gegenteiligen Auffassung des Arbeitsgerichts Reutlingen, das – auf den in der Entstehung begriffenen Betriebsrat – die Vorschrift des § 1923 BGB entsprechend anwenden wolle, könne nicht gefolgt werden. Es sei auch nicht zu erkennen, dass die Antragsgegnerin das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats treuwidrig vereitelt habe. Denn die Entscheidung, den Betrieb zu schließen, sei nicht willkürlich gewesen; es habe nicht ein blühendes Unte...