Entscheidungsstichwort (Thema)
Leitender Angestellter. Einstellungs- und Entlassungsbefugnis. Übergangsmandat des Betriebsrats. Einrücken in Beteiligtenstellung
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein Arbeitnehmer kann nur leitender Angestellter sein, wenn er tatsächlich im Innenverhältnis die Aufgaben und Befugnisse wahrnimmt, die seinen Status als leitender Angestellter begründen können. Die tatsächlichen Verhältnisse müssen mit den arbeitsvertraglichen Grundlagen übereinstimmen.
2. Die Vornahme einer einzigen Einstellung innerhalb eines Zeitraums von mehr als zwei Jahren ist zu wenig, um von einer bedeutenden Arbeitgeberfunktion ausgehen zu können.
Normenkette
BetrVG §§ 99, 21a, 5 Abs. 3
Verfahrensgang
ArbG Neunkirchen (Beschluss vom 12.12.2003; Aktenzeichen 4 BV 28/02) |
Tenor
DerBeschluss des Arbeitsgerichts Neunkirchen vom12.12.2003 – Az. 4 BV 28/02 – wird wie folgt abgeändert:
Der GmbH wird aufgegeben,
- die Einstellung des Herrn S als Vertriebsleiter zur AG, Betrieb Homburg,
- die Versetzung des Herrn P in die Position eines Vertriebsleiters des ehemaligen Betriebs Homburg der AG, Niederlassung Filialen,
aufzuheben.
- Für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die oben genannten Verpflichtungen wird der Antragsgegnerin ein Zwangsgeld bis zu 250,– EUR für jeden Tag der Zuwiderhandlung, bezogen auf jeden oben genannten Arbeitnehmer, angedroht.
- Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten über die Frage, ob bestimmte Mitarbeiter, denen zum 1.10.2002 die Position eines Vertriebsleiters übertragen wurde, leitende Angestellte sind und ob infolgedessen die unterlassene Beteiligung des Betriebsrates gemäß § 99 BetrVG rechtens war oder nicht. Der Betriebsrat (Antragsteller und Beteiligter zu 1.) fordert demgemäß die Aufhebung der personellen Einzelmaßnahmen.
Die AG (ursprüngliche Antragsgegnerin und Beteiligte zu 2.) war bis 31.12.2004 in 3 Unternehmensbereiche aufgeteilt: Brief, Express und Filialen (vgl. Organisationsplan, Bl. 8 d.A.). Im Bereich Filialen waren ca. 20.000 Beschäftigte als Verkaufsmitarbeiter und Berater in 25 Niederlassungen/Betrieben und mehreren 1.000 eigenbetriebenen Filialen tätig.
Einer dieser Betriebe war die Niederlassung Filialen Homburg mit ca. 730 Mitarbeitern (vgl. Organigramm, Bl. 9 d.A.). Sie erstreckte sich räumlich über das Saarland und Teile von Rheinland-Pfalz (Hunsrück und Pfälzer Wald). Ihr Betriebsrat (13 Mitglieder) war bis 31.12.2004 der ursprüngliche Antragsteller.
Mit Schreiben vom 27.9.2002 (Bl. 21 d.A.) teilte die AG, Niederlassung Filialen (zukünftig: Arbeitgeberin) diesem Betriebsrat (zukünftig: Betriebsrat) mit, dass mit Wirkung vom 1.10.2002 für das Vertriebsgebiet Nr. 45 (Saarbrücken) Herr S, das Vertriebsgebiet Nr. 47 (Mainz) Herr P und für das Vertriebsgebiet Nr. 48 (Ludwigshafen) Frau H jeweils als Vertriebsleiter/in eingesetzt werden sollen. Bei Herrn S handele es sich um eine Einstellung, den beiden anderen um Versetzungen.
Weiter heißt es: ‚Die Positionen der Vertriebsleiter sind den leitenden Angestellten zugeordnet. Wir informieren Sie über die o. a. personellen Veränderungen gemäß § 105 BetrVG.’
Mit Schreiben vom 1.10.2002 (Bl. 22 d.A.) unterrichtete die Arbeitgeberin auch all ihre von dieser Maßnahme betroffenen Mitarbeiter.
Der Betriebsrat wies die Niederlassungsleitung mit Schreiben vom 7.10.2002 (Bl. 23-25 d.A.) darauf hin, dass es sich bei den 3 neuen Vertriebsleitern nicht um leitende Angestellte handele. Die Mitbestimmungs- und Beteiligungsrechte nach § 99 BetrVG seien deshalb zu beachten gewesen.
Dennoch beschäftigte die Arbeitgeberin die 3 Betroffenen in der Folgezeit als Vertriebsleiter.
Das Vertriebsgebiet Nr. 45 umfasst den Bereich der Filialbezirksleitungen Merzig, Saarlouis, Saarbrücken und Neunkirchen. Herr S war zuvor als Vertriebsleiter für das Vertriebsgebiet Stuttgart bei der GmbH tätig.
Herr P war zuvor Abteilungsleiter des Filialbezirks Idstein im Betrieb der Niederlassung Filialen Frankfurt. Zu dem Vertriebsgebiet Nr. 47 gehören die Filialbezirksleitungen Mainz, Alzey, Bad Kreuznach, Wittlich, Koblenz und Bitburg.
Frau H war zuvor kommissarische Abteilungsleiterin des Filialbezirks Worms im Betrieb der Niederlassung Filialen Homburg. Ihr Vertriebsgebiet Nr. 48 umfasst die Filialbezirke Worms, Ludwigshafen, Landau und Kaiserslautern.
Frau H war zum Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung allerdings nicht mehr als Vertriebsleiterin im Vertriebsgebiet Nr. 48 tätig. Sie ist seit 1.11.2003 in der Vertriebsdirektion Essen beschäftigt. Die Beteiligtenvertreter erklärten daher im Anhörungstermin vor dem Landesarbeitsgericht am 18.8.2004 die Anträge bezüglich der Vertriebsleiterin H übereinstimmen für erledigt (Bl. 320 d.A.).
Mit allen 3 neu eingesetzten Vertriebsleitern wurde Mitte Oktober 2002 ein neuer Anstellungsvertrag geschlossen (vgl. Bl. 122 – 154 d.A.). Er wurde zunächst befristet vom 1.10.2002 bis 31.12.2003 mit der Möglichkeit einer Verlängerung durch Anzeige der Arbeitgeberin 3 Monate vor Ablauf der Vertragszeit.
Zum 1.4.2003 ...