Entscheidungsstichwort (Thema)
Außerordentliche Tatkündigung bei Diebstahl von Dieselkraftstoff im Bereich der Bundeswehr. Nachschieben von Kündigungsgründen im Kündigungsschutzprozess
Leitsatz (redaktionell)
1. Eine Tatkündigung ist gegenüber einer Verdachtskündigung ein eigenständiger Kündigungsgrund und setzt voraus, dass die Arbeitgeberin eine begangene arbeitsvertragliche Pflichtverletzung oder die Erfüllung eines Straftatbestandes aufgrund der Auswertung des von ihr ermittelten Sachverhaltes für gegeben erachtet.
2. Ist eine Kündigung bereits ausgesprochen, kann die Kündigende auch noch später ihren Vortrag durch Benennung weiterer Kündigungsgründe ergänzen oder auch ersetzen, soweit diese Gründe objektiv bereits zum Zeitpunkt der Ausübung des außerordentlichen Kündigungsrechts bestanden haben, und zwar losgelöst davon, ob die Existenz dieser nunmehr nachgeschobenen Gründe der Kündigenden zum damaligen Zeitpunkt bereits bekannt gewesen sind oder nicht; ein Nachschieben von Gründen, die erst nach Zugang der Kündigungserklärung entstanden sind, ist jedenfalls unzulässig.
3. Um Gründe, die zwar schon zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung Bestand gehabt haben, wirksam im Verlauf eines Kündigungsschutzprozesses zur Verstärkung der Argumentation nachschieben zu können, müssen auch die weiteren Voraussetzungen, wie etwa die Anhörung des für den Betrieb zuständigen Betriebsrats, erfüllt sein.
4. Die Wegnahme von nicht im Eigentum des Arbeitnehmers sondern im Eigentum der Arbeitgeberin oder Dritter stehenden beweglichen Sachen, die sich im Einsatzbereich des Arbeitnehmers befinden, mit dem Ziel, sich diese "wenn auch nur vorübergehend" anzueignen, und damit die Berechtigte auf Dauer zu enteignen, stellt ohne Eintreten von Rechtfertigungsgründen (wie etwa Eigentumsaufgabe durch die Berechtigte oder Einwilligung der Berechtigten) in der Regel einen an sich geeigneten wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB dar; in solchen Fällen ist es der Arbeitgeberin in der Regel auch nicht zuzumuten, das Arbeitsverhältnis auch nur für die Dauer der ordentlichen Kündigungsfrist aufrechtzuerhalten.
5. Haben der Arbeitnehmer und ein früherer Arbeitskollege zumindest den bereits aus dem Aufbereitungsvorgang bei einer Drittfirma zurückgekommenen und der umweltgerechten Entsorgung zuzuführenden Abfall-Dieselkraftstoff in nicht unerheblicher Menge ohne Einwilligung oder Genehmigung der Berechtigten vom Betriebsgelände entfernt und einer anderen "im Wesentlichen eigenen" Verwendung unter Ausschluss der Berechtigten auf Dauer zugeführt oder zuführen wollen, ist im Einzelfall die außerordentliche Kündigung insbesondere dann berechtigt, wenn der Arbeitnehmer gerade auch aufgrund seiner langen Betriebszugehörigkeit genauere Kenntnisse davon hat, dass im Umfeld der Arbeitgeberin (im Bereich der Bundeswehr) nicht auch nur das geringste vom Betriebsgelände für eigene Zwecke ohne vorherige Zustimmung oder allgemeine Freigabe durch einen Vorgesetzten oder die Standortverwaltung entfernt werden darf, soweit es nicht im Eigentum des Arbeitnehmers selbst steht, der Arbeitnehmer seine Vertrauensposition, gerade auch als für die Betriebsstoffe Verantwortlicher für das Bereitstellen des verunreinigten Dieselkraftstoffs zur Mitnahme zwecks ordnungsgemäßer Aufbereitung und später für das Bereitstellen zur Abfuhr des Abfalldiesels zwecks ordnungsgemäßer Entsorgung nicht mehr weiter aufbereitbarer und nutzbarer Abfälle zu sorgen, durch sein Verhalten gröblichst verletzt hat, und er Nutzen aus dem abtransportierten Material für sich selbst oder für Dritte gezogen hat oder ziehen wollte, weil er nach den Filtervorgängen das so gewonnene Produkt zum Heizungsbetrieb oder zum PKW-Betrieb oder zur Weitergabe an einen Dritten verwendet hat oder verwenden wollte.
Normenkette
BGB § 26 Abs. 1-2; BPersVG § 79 Abs. 3; TVöD-AT § 34 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Saarbrücken (Entscheidung vom 09.12.2011; Aktenzeichen 2 Ca 93/11) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Saarbrücken vom 9.12.2011 die Klage insgesamt abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreites trägt der Kläger.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten vorliegend über die Wirksamkeit von außerordentlich erklärten Kündigungen seitens des Arbeitgebers wegen nachgewiesenem Diebstahls beziehungsweise des Verdachtes eines solchen Diebstahls von Dieselkraftstoff beziehungsweise zur Entsorgung bereitstehender durch den Betrieb verunreinigter Dieselkraftstoffmengen.
Der am 17.8.1956 geborene Kläger war seit dem 16.4.1981 als Gabelstaplerfahrer D und Lagerhelfer beim Gerätedepot H. durch die Standortverwaltung S.W. eingestellt gewesen. Ab dem 01.10.1993 wurde er als Nachschubhelfer D und Kraftfahrer CE sowie F eingesetzt. Zum 1.7.2005 wurde der Kläger versetzt zum Systeminstandsetzungszentrum 860. Dort kam er als Lagerhelfer D und Gabelstaplerfahrer C zum Einsatz. Mit Wirkung zum 1.8.2005 wurde er der Firma H. GmbH in deren ...