Entscheidungsstichwort (Thema)
Verbandsaustritt. Auslegung des Kündigungsschreibens. Rechtswirksamkeit einer sechsmonatigen Kündigungsfrist für die Verbandsmitgliedschaft. Kündigungsfrist für den Arbeitgeber
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Satzungsbestimmung eines Arbeitgeberverbands, die eine Kündigung der Mitgliedschaft an die Einhaltung einer Kündigungsfrist von sechs Monaten zum Schluss eines Kalenderjahrs bindet, ist rechtlich zulässig.
2. Ein Kündigungsschreiben eines Mitglieds eines Arbeitgeberverbands wonach dieses formuliert „Hiermit kündigen wir die Mitgliedschaft … zum nächstmöglichen Termin” ist regelmäßig als satzungsgemäße Beendigung der Mitgliedschaft im Verband zu verstehen.
Normenkette
BGB § 39 Abs. 2; TVG § 3 Abs. 1, 3, § 4 Abs. 1; BGB §§ 133, 157
Verfahrensgang
ArbG Neunkirchen (Urteil vom 03.04.2003; Aktenzeichen 2 Ca 1299/02) |
Nachgehend
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das am3. April 2003 verkündeteUrteil des Arbeitsgerichts Neunkirchen (2 Ca 1299/02) wird zurückgewiesen.
2. Auf die Anschlussberufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts unter Ziffer 1 des Urteilstenors dahin abgeändert, dass die Beklagte verurteilt wird, an den Kläger für die Monate August, September, Oktober, November und Dezember 2000 jeweils 48,06 EUR brutto zuzüglich 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz nach dem Diskontüberleitungsgesetz, und zwar für die Zeit vom 14. Februar bis zum 31. Dezember 2001, und 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem 1. Januar 2002 zu zahlen.
3. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger ist seit 1972 bei der Beklagten, einem Unternehmen der pharmazeutischen Industrie, als Facharbeiter beschäftigt. Unter Ziffer 5 Satz 1 des Arbeitsvertrages vom 1. Februar 1972 (Blatt 4 f der Akten) ist im Zusammenhang mit der zu zahlenden Vergütung auf „zur Zeit gültige tarifliche Bestimmungen” Bezug genommen.
Der Kläger ist Mitglied der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie. Die Beklagte gehörte seit 1980 dem Arbeitgeberverband der Chemischen Industrie Saarland e.V. an. Seit seiner Einstellung bei der Beklagten erhielt der Kläger eine Vergütung nach den zwischen diesen Tarifvertragsparteien vereinbarten Tarifverträgen. Mit einem neuen Tarifvertrag vom 15. Mai 2000 vereinbarten die Tarifvertragsparteien eine Erhöhung der Löhne um 2,2 Prozent ab dem 1. August 2000 sowie eine weitere Erhöhung um 2 Prozent ab dem 1. August 2001. Bestandteil des Tarifvertrages sind Entgelttabellen, in denen die neuen Entgeltsätze für die jeweiligen Entgeltgruppen beziffert bezeichnet sind. Der neue Tarifvertrag sollte am 1. August 2000 in Kraft treten und erstmals zum 30. April 2002 gekündigt werden können.
Die tarifliche Lohnerhöhung zum 1. August 2000 gab die Beklagte nicht an den Kläger weiter. Sie begründete dies damit, dass sie aus dem Arbeitgeberverband ausgetreten sei. Ihre Mitgliedschaft in dem Arbeitgeberverband der Chemischen Industrie Saarland e.V. hatte die Beklagte mit einem an den Arbeitgeberverband gerichteten Schreiben vom 25. Oktober 1999 (Blatt 56 der Akten) gekündigt, und zwar zum „nächstmöglichen Termin”. Mit dem Antwortschreiben vom 28. Oktober 1999 (Blatt 107 der Akten) bedauerte der Arbeitgeberverband die Kündigung der Beklagten und teilte weiter mit, der nächstmögliche Termin sei nach seiner Satzung der 31. Dezember 2000.
§ 5 Ziffer 4 der Satzung des Arbeitgeberverbandes (Blatt 8 der Akten) hat folgenden Wortlaut:
„Ein Mitglied kann nur zum Schluss eines Kalenderjahres aus dem Verband freiwillig ausscheiden. Die Kündigung muss bis zum 30. VI. durch eingeschriebenen Brief erfolgen.”
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dass ihm ab dem 1. August 2000 der erhöhte Tariflohn zustehe. Der Austritt der Beklagten aus dem Arbeitgeberverband sei erst zum 31. Dezember 2000 wirksam geworden. Der neue Tarifvertrag sei aber vorher geschlossen worden. Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn für die Monate August, September, Oktober, November und Dezember 2000 jeweils 48,06 EUR (94 DM) brutto zuzüglich 4 Prozent Zinsen seit dem 14. Februar 2001 zu zahlen. Weiter hat er beantragt, die Beklagte zu verurteilen, ihm ab dem 1. Januar 2001 bis zum 30. April 2002 eine Vergütung in Höhe von monatlich 4.340 DM (2.219,01 EUR) brutto zu zahlen; auf diesen Betrag beläuft sich ab dem 1. August 2000 der Tariflohn nach der für den Kläger maßgeblichen Entgeltgruppe.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, ihr Austritt aus dem Arbeitgeberverband sei zum 30. April, spätestens aber zum 30. Juni 2000 wirksam geworden. Die in der Satzung des Arbeitgeberverbandes enthaltene Regelung der Kündigungsfrist für den Austritt aus dem Verband sei zu lang, sie widerspreche der verfassungsrechtlich verankerten negativen Koalitionsfreiheit (Artikel 9 Absatz 3 des Grundgesetzes). Die Regelung sei daher unwirksam. Höchstens zulässig s...