Entscheidungsstichwort (Thema)
Verbandsaustritt. Kündigungsfrist. Negative Koalitionsfreiheit
Leitsatz (redaktionell)
Die in § 5 Ziff. 4 der Satzung des Arbeitgeberverbands der Chemischen Industrie Saarland enthaltene Regelung der Kündigungsfrist, die einen Austritt aus dem Verband mit einer Frist von sechs Monaten zum Ende eines Kalenderjahrs zulässt, verstößt nicht gegen die nach Art. 9 Abs. 3 GG verfassungsrechtlich verbürgte negative Koalitionsfreiheit.
Normenkette
GG Art. 9; TVG §§ 3-4; BGB § 39
Verfahrensgang
ArbG Neunkirchen (Urteil vom 23.01.2003; Aktenzeichen 3 Ca 1367/02) |
Nachgehend
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das am 23. Januar 2003 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Neunkirchen (3 Ca 1367/02) wird zurückgewiesen.
2. Auf die Anschlussberufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts unter den Ziffern 1 und 2 des Urteilstenors dahin abgeändert, dass die Beklagte verurteilt wird, an den Kläger für die Zeit vom 1. Dezember 2000 bis zum 31. Juli 2001 eine ausstehende Tarifvergütung von 384,48 EUR brutto zuzüglich 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem 20. September 2002 zu zahlen, und dass die Beklagte weiter verurteilt wird, an den Kläger für die Zeit vom 1. August bis zum 31. Dezember 2001 sowie für die Zeit vom 1. Juni bis zum 31. August 2002 eine ausstehende Tarifvergütung von 740,32 EUR brutto zuzüglich 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem 20. September 2002 zu zahlen.
3. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger ist seit 1972 bei der Beklagten, einem Unternehmen der pharmazeutischen Industrie, als Arbeiter beschäftigt. Unter Ziffer 5 Satz 1 des Arbeitsvertrages vom 6. Januar 1972 (Blatt 7 ff der Akten) ist im Zusammenhang mit der zu zahlenden Vergütung auf „zur Zeit gültige tarifliche Bestimmungen” Bezug genommen.
Der Kläger ist Mitglied der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie. Die Beklagte gehörte seit 1980 dem Arbeitgeberverband der Chemischen Industrie Saarland e.V. an. Seit seiner Einstellung bei der Beklagten erhielt der Kläger eine Vergütung nach den zwischen diesen Tarifvertragsparteien vereinbarten Tarifverträgen. Mit einem neuen Tarifvertrag vom 15. Mai 2000 vereinbarten die Tarifvertragsparteien eine Erhöhung der Löhne um 2,2 Prozent ab dem 1. August 2000 sowie eine weitere Erhöhung um 2 Prozent ab dem 1. August 2001. Bestandteil des Tarifvertrages sind Entgelttabellen, in denen die neuen Entgeltsätze für die jeweiligen Entgeltgruppen beziffert bezeichnet sind. Der neue Tarifvertrag sollte am 1. August 2000 in Kraft treten und erstmals zum 30. April 2002 gekündigt werden können.
Die tarifliche Lohnerhöhung zum 1. August 2000 und zum 1. August 2001 gab die Beklagte nicht an den Kläger weiter. Sie begründete dies damit, dass sie aus dem Arbeitgeberverband ausgetreten sei. Ihre Mitgliedschaft in dem Arbeitgeberverband der Chemischen Industrie Saarland e.V. hatte die Beklagte mit einem an den Arbeitgeberverband gerichteten Schreiben vom 25. Oktober 1999 (Blatt 18 der Akten) gekündigt, und zwar zum „nächstmöglichen Termin”. Mit dem Antwortschreiben vom 28. Oktober 1999 (Blatt 85 der Akten) bedauerte der Arbeitgeberverband die Kündigung der Beklagten und teilte weiter mit, der nächstmögliche Termin sei nach seiner Satzung der 31. Dezember 2000.
§ 5 Ziffer 4 der Satzung des Arbeitgeberverbandes (Anlage IV der Anlagenbandes zur Klageschrift) hat folgenden Wortlaut:
„Ein Mitglied kann nur zum Schluss eines Kalenderjahres aus dem Verband freiwillig ausscheiden. Die Kündigung muss bis zum 30. VI. durch eingeschriebenen Brief erfolgen.”
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dass ihm ab dem 1. August 2000 der erhöhte Tariflohn zustehe; entsprechendes gelte für die weitere Erhöhung des Tariflohns ab dem 1. August 2001. Der Austritt der Beklagten aus dem Arbeitgeberverband sei erst zum 31. Dezember 2000 wirksam geworden. Der neue Tarifvertrag sei aber vorher geschlossen worden. Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 1. August 2000 bis zum 31. Juli 2001 eine ausstehende Tarifvergütung von 576,74 EUR (1.128 DM) brutto zuzüglich 4,8 Prozent Zinsen über dem jeweiligen Eckzinssatz zu zahlen. Weiter hat er beantragt, die Beklagte zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 1. August 2001 bis zum 31. August 2002 eine ausstehende Tarifvergütung in Höhe von 1.203,07 EUR (2.353 DM) brutto zuzüglich 4,8 Prozent Zinsen über dem jeweiligen Eckzinssatz zu zahlen. Darüber hinaus hat er beantragt, die Beklagte zu verurteilen, ihm ab dem 1. September 2002 ein monatliches Tarifentgelt in Höhe von 2.263,45 EUR (4.427 DM) brutto zu zahlen; auf diesen Betrag beläuft sich ab dem 1. August 2001 der Tariflohn nach der für den Kläger maßgeblichen Entgeltgruppe. Und schließlich hat der Kläger in erster Instanz – ebenfalls ausgehend davon, dass die beiden Tariflohnerhöhungen an ihn weiterzugeben seien – noch we...