Entscheidungsstichwort (Thema)
Tarifwidrige Regelungsabreden zur Verkürzung der Arbeitszeit in Klinikbetrieben. Unterlassungsanträge der Gewerkschaft zur Anwendung und Umsetzung von Regelungsabreden mit einzelnen Betriebsräten
Leitsatz (redaktionell)
1. Grundsätzlich steht es den Betriebspartnern innerhalb der durch das Betriebsverfassungsgesetz vermittelten Regelungsbefugnis frei, ob sie eine betriebsverfassungsrechtliche Angelegenheit durch den Abschluss einer förmlichen Betriebsvereinbarung oder formlos durch Regelungsabrede regeln wollen; entscheidend für die rechtliche Einordnung sind die Umstände des Zustandekommens und der Inhalt der abgeschlossenen Vereinbarungen.
2. Im Gegensatz zur Betriebsvereinbarung, die gemäß § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG unmittelbar und zwingend auf die betrieblichen Arbeitsverhältnisse einwirkt, bedarf die rechtstechnische Umsetzung einer Regelungsabrede stets einer individuellen Vereinbarung zwischen Arbeitgeberin und Beschäftigten.
3. Sind sich die "Parteien .. bewusst, dass eine Umsetzung dieser Vorgaben einer individualvertraglichen Vereinbarung zwischen Gesellschaft und Beschäftigten bedarf (= Abschluss von Änderungsverträgen)", soll nach dem übereinstimmendem Willen der Parteien eine normative Wirkung der Vereinbarung nicht bestehen.
4. Treffen die Betriebspartner tarifwidrige Vereinbarungen oder Maßnahmen, steht den Gewerkschaften neben dem Anspruch aus § 23 Abs. 3 BetrVG ein allgemeiner Unterlassungsanspruch aus §§ 1004, 823 Abs. 1 BGB mit Art. 9 Abs. 3 GG zu, wenn die kollektive Ordnung des Tarifvertrags im Betrieb verdrängt werden soll.
5. Für eine tarifrechtliche Konkurrenzsituation reicht es aus, dass die Gewerkschaft in allen beteiligten Unternehmen vertreten ist; eine nominale Vertretung in Anlehnung an § 17 KSchG ist nicht erforderlich.
6. Für den Eintritt einer Sperrwirkung zugunsten der Tarifautonomie kommt es nicht darauf an, für wie viele Beschäftigte der Branche die betreffende tarifliche Regelung normativ oder wegen vertraglicher Inbezugnahme gilt; maßgeblich ist allein der Umstand, dass eine Tarifregelung besteht.
7. Die Nachbindung nach § 3 Abs. 3 TVG soll die Vertragstreue der Tarifparteien sichern; dieses Ziel kann nicht mehr erreicht werden, wenn die Tarifvertragsparteien den bisherigen Tarifvertrag nicht mehr für einen angemessenen Interessenausgleich halten und ihn folgerichtig geändert haben, so dass jede inhaltliche Änderung eines Tarifvertrags der Beendigung gleichsteht und die Nachbindung nach § 3 Abs. 3 TVG ebenfalls endet.
8. Regelungsabreden sowie deren arbeitsvertraglichen Umsetzungen sind tarifwidrig, wenn sie das Niveau tarifüblicher Regelungen unterschreiten; die rechtstechnische Umsetzung einer Regelungsabrede, die ein tarifwidriges Ziel verfolgt, ist ebenso rechtswidrig wie die Regelungsabrede selbst.
Normenkette
ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2; KSchG § 17; TVG § 3 Abs. 3, § 4 Abs. 5; BetrVG §§ 77, 23 Abs. 3, § 77 Abs. 3; GG Art. 9 Abs. 3; BetrVG § 77 Abs. 4 S. 1; BGB § 823 Abs. 1, § 1004
Verfahrensgang
ArbG Magdeburg (Entscheidung vom 04.12.2013; Aktenzeichen 11 BV 18/13) |
Nachgehend
Tenor
1. Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1 und unter deren Zurückweisung im Übrigen wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Magdeburg vom 04. Dezember 2013 - 11 BV 18/13 - teilweise abgeändert. Den Beteiligten zu 2. bis 4. wird jeweils aufgegeben,
a. es zu unterlassen,
aa. die in § 2 Abs. 1 der Regelungsabrede mit dem Betriebsrat am 03.01.2013 vereinbarte Reduzierung der jeweils gültigen individuellen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit um 12,5 % sowie
bb. die aufgrund dessen i. V. m. § 2 Abs. 3 (Muster in der Anlage) abgeschlossenen Änderungsverträge für Beschäftigte nach dem TVöD, Ziffer 1. mit Wirkung ab 01.01.2013 vereinbarten Teilzeitbeschäftigungen mit einer durchschnittlichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 35 Stunden bzw. mit einem vereinbarten Prozentsatz der durchschnittlichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit eines entsprechenden Vollbeschäftigten bzw. mit einer Reduzierung der jeweiligen individuellen wöchentlichen Arbeitszeit um 12,5 % anzuwenden;
b. es zu unterlassen, die Klausel unter Ziffer 1. des Änderungsvertrages anzuwenden, nach der der Beschäftigte im Rahmen begründeter betrieblicher/dienstlicher Notwendigkeiten zur Leistung von Sonntags-, Feiertags-, Nacht-, Wechselschicht und Schichtarbeit sowie Bereitschaftsdienst, Rufbereitschaft, Überstunden und Mehrarbeit verpflichtet ist;
c. es zu unterlassen,
aa. den in § 2 Abs. 1, 2. Spiegelstrich Regelungsabrede vom 03.01.2013 geregelten Verzicht auf die Leistungen gemäß § 18 TVöD und
bb. in Ziffer 2.1 Änderungsvertrag i. V. m. § 2 Abs. 3 der Regelungsabrede (Muster in der Anlage) vereinbarten Verzicht auf die Leistungen gemäß § 18 TVöD jeweils mit dem Inhalt, dass die Leistungszulage nach § 18 TVöD nicht gezahlt wird, anzuwenden;
d. es zu unterlassen,
aa. den in § 2 Abs. 1 der Regelungsabrede vom 03.01.2013 geregelten Verzicht auf die Leistu...