Verfahrensgang
ArbG Halle (Saale) (Aktenzeichen 5 Ca 73/93) |
Tatbestand
I. Die Klägerin nahm die von ihr eingelegte Berufung vor streitiger Verhandlung zurück. Bei einem Gegenstandswert von 8.400,00 DM wurden ihr mit Kostenrechnung vom 16.01.1995 Verfahrensgebühren in Höhe von 88,00 DM gemäß Nummern 9120, 9122 der Anlage I zu § 12 Abs. 1 ArbGG berechnet. Mit der Erinnerung begehrt die Klägerin eine Ermäßigung der Verfahrensgebühren um 20 %, da ihr allgemeiner Gerichtsstand im Beitrittsgebiet liege. Die nach dem Einigungsvertrag für diesen Fall vorgesehene Ermäßigung der Gebühren aus dem Gerichtskostengesetz müsse auch für die Gebühren im arbeitsgerichtlichen Verfahren gelten.
Entscheidungsgründe
II. Die Erinnerung ist begründet. Die Gebühren im Urteilsverfahren vor den Arbeitsgerichten gemäß § 12 Abs. 1 ArbGG ermäßigen sich in entsprechender Anwendung der Maßgaben des Einigungsvertrages zur Inkraftsetzung des Gerichtskostengesetzes um 20 %, wenn der Kostenschuldner seinen allgemeinen Gerichtsstand im Beitrittsgebiet hat.
Während der Einigungsvertrag die Kostengesetze im Beitrittsgebiet generell mit der Maßgabe in Kraft gesetzt hat, daß sich für Kostenschuldner mit allgemeinem Gerichtsstand im Beitrittsgebiet die Gebühren um 20 % ermäßigen (so für GKG, KO, Gesetz über Kosten der Gerichtsvollzieher, Gesetz über die Entschädigung der ehrenamtlichen Richter, GEZS, BRAGO in der Anlage I Kap. III Sachgebiet A Abschnitt III Ziffern 19 a – 27 (im folgenden: Kap. III Ziffer 19 a EV) zum Einigungsvertrag), fehlt eine entsprechende Maßgabe bei der Inkraftsetzung des Arbeitsgerichtsgesetzes in Anlage I Kap. VIII Sachgebiet A Abschnitt III Ziffer 15 a (im folgenden: Kap. VIII Ziffer 15 EV) des Einigungsvertrages. Hieraus wird gefolgert, daß für arbeitsgerichtliche Gebühren die Ermäßigung nicht greift (Germelmann in Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG 2. Aufl. § 12 Rz 5 a). Zutreffend ist, daß die Ermäßigung der Gebühren aus den oben genannten Kostengesetzen für die Gebühren vor den Arbeitsgerichten unmittelbar ohne. Bedeutung ist, da diese gesondert gemäß dem Verzeichnis der Anlage I zu § 12 Abs. 1 ArbGG erhoben werden. Dies gilt auch im Verfahren vor dem Landesarbeitsgericht und dem Bundesarbeitsgericht; soweit in § 12 Abs. 3 auf die dem Gerichtskostengesetz als Anlage II beigefügte Gebührentabelle Bezug genommen wird, werden die Kosten doch gemäß § 12 Abs. 1 ArbGG und nicht gemäß dem GKG erhoben, das insoweit durch besondere Bestimmungen im Arbeitsgerichtsgesetz verdrängt wird, § 1 Abs. 3 GKG.
Für die sich hiernach ergebende Rechtslage fehlt indessen jeder einleuchtende Grund. Es ist nicht einzusehen, warum sämtliche Kosten und Gebühren für Kostenschuldner mit allgemeinem Gerichtsstand im Beitrittsgebiet um 20 % zu ermäßigen sind, dies aber für Arbeitsgerichtsgebühren nicht gelten soll. Dies liefe der gerade auch in § 12 ArbGG zum Ausdruck kommenden Absicht des Gesetzgebers zuwider, das Verfahren vor den Arbeitsgerichten kostengünstig zu gestalten. Der Umstand, daß § 12 ArbGG die Kosten für das Arbeitsgerichtsverfahren ohnehin bereits günstig ausgestaltet hat, gibt ebenfalls keine Rechtfertigung für den Verzicht auf die Ermäßigung. Denn die Ermäßigung soll den besonderen Lebensbedingungen der Kostenschuldner aus dem Beitrittsgebiet im Verhältnis zu denjenigen aus den alten Bundesländern Rechnung tragen. Die Ermäßigung für arbeitsgerichtliche Gebühren ist daher in gleicher Meise gerechtfertigt wie die Ermäßigung der Gebühren aus den sonstigen Kostengesetzen. Hinzu kommt, daß bei Inkrafttreten des Einigungsvertrages bereits eine überproportionale Inanspruchnahme der Arbeitsgerichte durch die Bürger aus dem Beitrittsgebiet abzusehen war. Daß der Gesetzgeber dies dadurch erschweren wollte, daß er die arbeitsgerichtlichen Gebühren im Gegensatz zu den Gebühren nach den sonstigen Kostengesetzen nicht verminderte, erscheint ausgeschlossen.
Es wäre auch wenig verständlich, daß der Gesetzgeber die staatlichen Gebühren vor den Arbeitsgerichten für Kostenschuldner aus dem Beitrittsgebiet unverändert beließe, während er die anwaltlichen Gebühren um 20 % ermäßigte. Eine Gesetzgebung, die aus sozialen Gesichtspunkten erforderliche Eingriffe in Gebührentatbestände den Rechtsanwälten als Privatpersonen zumutet, den Justizfiskus aber in vergleichbarer Lage davon ausnimmt, würde dem Sozialstaatsgebot aus Artikel 20 Abs. 1 GG nicht gerecht (ähnlich LG Köln, Beschluß vom 12.05.1993 – 23 0 705/91 – = MDR 93, Seite 1248 f.).
Aus diesen Gründen ist anzunehmen, daß das Fehlen einer entsprechenden Ermäßigungsregelung für Kostenschuldner aus dem Beitrittsgebiet bei Inkraftsetzung des Arbeitsgerichtsgesetzes in Kap. VIII Ziffer 15 EV auf ein Versehen des Gesetzgebers zurückzuführen ist. Dies ist durch eine entsprechende Anwendung der Ermäßigungsregelung zum GKG in Kap. III Ziffer 15 a EV zu korrigieren, zumal in Kap. VIII Ziffer 15 a EV ohnehin angeordnet ist, daß das Arbeitsgerichtsgesetz mit den Maßgaben zu Kap. III Sachgebiet A Abschnitte III und IV...