Entscheidungsstichwort (Thema)
Begriff des Betriebes i.S. von § 1 Abs. 1 BetrVG
Leitsatz (redaktionell)
Eine Außenstelle eines Unternehmens stellt keine i.S. von §§ 1 Abs. 1, 4 Abs. 1 BetrVG betriebsratsfähige Organisationseinheit dar, wenn an diesem Standort nicht alle Arbeitgeberfunktionen wahrgenommen werden. Das ist etwa der Fall, wenn an diesem Standort nicht über Einstellung und Kündigung von Arbeitnehmern entschieden wird.
Normenkette
BetrVG § 1 Abs. 1, § 4 Abs. 1, § 3 Abs. 5 S. 1, § 18 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Magdeburg (Entscheidung vom 27.06.2014; Aktenzeichen 11 BV 17/14 HBS) |
Tenor
1. Auf die Beschwerde der Beschwerdeführerin und Beteiligten zu 1.) wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Magdeburg vom 27. 06. 2014 - 11 BV 17/14 HBS - abgeändert. Es wird festgestellt, dass der Standort der Beteiligten zu 1.) in W... keine betriebsratsfähige Organisationseinheit darstellt.
2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Standort der Beteiligten zu 1. in W... eine betriebsratsfähige Organisationseinheit i. S. v. § 1 Abs. 1 bzw. § 4 Abs. 1 BetrVG darstellt.
Die Beteiligte zu 1. und Beschwerdeführerin hat ihren Sitz in F.... Sie betreibt Servicearbeiten für Industrieunternehmen auf dem Gebiet der Instandhaltung, der technischen Reinigung, der Produktionslogistik und -unterstützung, der Industriemontage und dem Anlagenbau sowie dem Facility Management, und zwar überwiegend vor Ort bei den Kunden. In F... ist die Personalabteilung der Beteiligten zu 1. angesiedelt.
Im Bundesgebiet betreibt die Beteiligte zu 1. rund 30 Niederlassungen, eine davon in S... . Die Niederlassungen werden von einem sogenannten Niederlassungsleiter geleitet, der die Stellung eines Prokuristen hat. Die Niederlassungsleiter sind einstellungs- und entlassungsbefugt, sie bedürfen jedoch hierzu der Gegenzeichnung des jeweils übergeordneten Vorgesetzten.
Am Standort in S... werden ca. 260 Arbeitnehmer beschäftigt. Dort ist ein Betriebsrat gebildet. Die Betriebsratswahl aus dem Jahr 2014 ist angefochten; der Rechtsstreit ist insoweit bei dem Arbeitsgericht B... anhängig.
Neben der Niederlassung in S... bestehen Außenstellen, darunter eine in H... und eine solche in W.... Am Standort W... sind ca. 60 Arbeitnehmer tätig; darunter ein sogenannter Serviceleiter; für diesen Standort besteht ein sog. Bereichsleiter, der in S... ansässig ist. Auch für den Standort W... ist im Jahr 2014 ein Betriebsrat - der Beteiligte zu 2. - gewählt worden, deren Wahl ist ebenfalls angefochten worden. Das Wahlanfechtungsverfahren ist ebenfalls bei dem Arbeitsgericht B... anhängig.
Die Betriebsstätten in S... und W... liegen rund 50 Kilometer auseinander. Die Fahrtzeit zwischen beiden Betriebsstätten beträgt mit dem Pkw rund 35 Minuten. Es gibt so genannte Poolfahrzeuge, die für die Fahrt von S... nach W... bzw. umgekehrt zur Verfügung gestellt werden können. Drei Mitarbeiter am Standort W... haben keine Fahrerlaubnis; insoweit hat die Verfahrensbevollmächtigte der Beteiligten zu 1. im Anhörungstermin vor der Kammer am 21. 04. 2015 erklärt, dass für die Fahrt zum Betriebsrat, auch wenn dieser in S... seinen Sitz hätte, bei Bedarf ein Shuttleservice kurzfristig eingerichtet würde. Die Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln zwischen S... und W... beträgt von Tür zu Tür etwa zwischen 1 Stunde 15 Minuten und 2 Stunden 18 Minuten, vgl. die Aufstellung Bl. 51 d. A..
Zwischen beiden Standorten findet im Bedarfsfalle ein Austausch der Mitarbeiter statt.
Am Standort S... ist ein Betriebsratsmitglied freigestellt.
Der Serviceleiter in W... besitzt keine Befugnis zur Kündigung und zur Erteilung von Abmahnungen. Zeugnisse werden vom Niederlassungsleiter in S... erstellt, jedoch nach entsprechender Vorlage eines Beurteilungsbeitrages durch den Serviceleiter aus W.... Der Serviceleiter in W... ist nicht befugt, Betriebsvereinbarungen abzuschließen. Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen werden regelmäßig durch den Serviceleiter in W... entgegengenommen und weitergeleitet. Auch die erste Krankmeldung vor Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wird regelmäßig an den Serviceleiter in W... gerichtet.
Erholungsurlaub wird durch den Serviceleiter in W... genehmigt. Dabei hat dieser Vorgaben des Niederlassungsleiters aus S... zu beachten, insbesondere hinsichtlich der Anordnung, welche Facharbeiter gleichzeitig Urlaub erhalten können, wie mit Urlaubssperren bzw. Betriebsferien bei den Kunden umzugehen ist.
Am Standort W... gibt es nur wenige Büros und eine Werkhalle. Der Standort W... betreut u. a. folgende Kunden: H... S..., H..., E..., H... B..., V.., W..., W..., I... . Die Aufgabenstellungen beider Standorte sind identisch.
Das Management der Arbeitszeitkonten richtet sich nach einem Haustarifvertrag und wird vom Standort S... aus vorgenommen.
Die Beteiligte zu 1. meint, dass der Standort in W... vor Ort keine eigenständige Leitung habe und daher weder ein eigenständiger Betrieb nach § 1 Abs. 1 BetrVG noch ein verselbständigter Betriebsteil ...