Entscheidungsstichwort (Thema)

Anwendbarkeit von Tarifwerken in der jeweils gültigen Fassung bei Betriebsübergang und Abschluss eines Neuvertrages. Feststellungsklage einer Krankenschwester bei unzureichenden Darlegungen der Betriebserwerberin zur Ablösung der Tarifwerke durch einen Haustarifvertrag

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Gemäß § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB geht das mit der Betriebsveräußerin bestehende Arbeitsverhältnis mit allen Rechten und Pflichten in unveränderter Form auf die Erwerberin über; davon erfasst ist auch die mit der Veräußerin getroffene Vereinbarung über die Anwendbarkeit bestimmter Tarifverträge in ihrer jeweils geltenden Fassung auf das Arbeitsverhältnis.

2. Es steht den Vertragsparteien frei, eine Bezugnahmeklausel derart auszugestalten, dass die jeweils für die Arbeitgeberin geltenden Tarifverträge zur Anwendung kommen sollen (Tarifwechselklausel); in einer solchen Klausel muss aber hinreichend deutlich vereinbart werden, dass nicht nur die gerade für die Arbeitgeberin geltenden Tarifverträge sondern jeweils die Tarifwerke zu Anwendung kommen sollen, an welche die Arbeitgeberin gebunden ist.

3. Eine Klausel, die bestimmte Tarifverträge dynamisch in Bezug nimmt, und die vor Inkrafttreten der Schuldrechtsreform am 01.01.2002 vereinbart worden ist, ist aus Gründen des Vertrauensschutzes bei Tarifbindung der Arbeitgeberin als Gleichstellungsabrede dahin auszulegen, dass im Fall eines Betriebsübergangs die in Bezug genommenen Tarifverträge bei der neuen Arbeitgeberin nur noch statisch mit dem bei Betriebsübergang maßgeblichen Stand fortgelten sollen; demgegenüber begründet eine solche Klausel in einem nach dem 01.01.2002 geschlossenen “Neuvertrag„ eine dynamische Fortgeltung der in Bezug genommenen Tarifverträge auch bei einer Betriebserwerberin, für die diese Tarifverträge nicht einschlägig sind.

4. Bei Verweisungsklauseln in Arbeitsverträgen, die vor dem Inkrafttreten der Schuldrechtsreform zum 01.01.2002 abgeschlossen worden sind (“Altverträge„), kommt es bei einer Vertragsänderung nach dem 01.01.2002 für die Beurteilung, ob es sich hinsichtlich der Auslegung dieser Klausel um einen “Neu- oder Altvertrag„ handelt, darauf an, ob die Klausel zum Gegenstand der rechtsgeschäftlichen Willensbildung der Vertragsparteien gemacht worden ist; das ist der Fall, wenn sich die im Jahr 2010 vorgenommene Vertragsänderung unmittelbar auf den Inhalt der Bezugnahmeklausel im “Altvertrag„ bezieht und hierdurch die in Bezug genommenen Tarifverträge vollständig ausgetauscht werden.

 

Normenkette

BGB §§ 611a, 613a Abs. 1 S. 1; ZPO § 256 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Magdeburg (Entscheidung vom 01.04.2015; Aktenzeichen 5 Ca 149/14)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 18.09.2019; Aktenzeichen 4 AZR 276/18)

 

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Magdeburg vom 01.04.2015 - 5 Ca 149/14 - wird hinsichtlich des Klagantrages zu 4. als unzulässig verworfen.

II. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Magdeburg vom 01.04.2015 - 5 Ca 149/14 - hinsichtlich der Klaganträge zu 1. - 3 abgeändert:

Es wird festgestellt, dass auf das Arbeitsverhältnis zwischen der Klägerin und der Beklagten zu 2. die Tarifverträge des S Konzerns, nämlich

- Konzern-Entgelt-Tarifvertrag für die Funktionsbereiche medizinische Heil-, Fach- und Hilfsberufe, Wirtschaft und Infrastruktur in den Einrichtungen der S Kliniken AG

- Vereinbarung tarifvertraglicher Eckpunkte

- Tarifvertrag O.-Klinikum 2012

in der jeweils geltenden Fassung bis zum 30.09.2016 zur Anwendung gekommen sind.

III. Die Klagerweiterung aus dem Schriftsatz vom 12.10.2017 wird abgewiesen.

IV. Die Klägerin trägt die Kosten der Beklagten zu 1. Von den weiteren Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin 60% und die Beklagte zu 2. 40%.

V. Die Revision wird für die Beklagte zu 2., jedoch nicht für die Klägerin zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten in der Sache über die Frage, welche Tarifverträge auf ihr Arbeitsverhältnis zur Anwendung gekommen sind sowie über die Auszahlung einbehaltener Vergütung und deren Abführung an einen Träger der betrieblichen Altersversorgung durch die Beklagte zu 2. (im Folgenden: Beklagte).

Die Klägerin war bei der Beklagten bzw. deren Funktionsvorgängern seit 01.09.1979 als Krankenschwester in dem seit 01.11.2013 von der Beklagten betriebenen Krankenhaus K, H tätig. Jenes Krankenhaus befand sich bis 2007 in der Trägerschaft des Landkreises O. Während dieser Trägerschaft vereinbarte die Klägerin, die nicht Mitglied einer Gewerkschaft ist, mit ihrem damaligen Arbeitgeber die Begründung einer betrieblichen Altersversorgung in Trägerschaft der Z. Sachsen-Anhalt nach Maßgabe des ATV.

Im Jahr 2007 übernahm die S-O -Klinikum GmbH (im Folgenden: S GmbH - erstinstanzlich Beklagte zu 1.) den Betrieb des vorgenannten Krankenhauses. Die S GmbH wendete zunächst weiterhin die tariflichen Bestimmungen für den öffentlichen Dienst, insbesondere den TVöD an. Weiter führte die S GmbH die betriebliche Altersversorgung der Klägerin nach Maßgabe...

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