Entscheidungsstichwort (Thema)

Verzugslohnanspruch nach rechtswidriger Freistellung und unzureichenden Darlegungen der Arbeitgeberin zur fehlenden Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers unter Bezugnahme auf "punktuelle" ärztliche Bescheinigung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Im Falle einer rechtwidrigen zeitlich unbegrenzten Freistellung des Arbeitnehmers bedarf es zur Begründung des Annahmeverzugs keines tatsächlichen oder wörtlichen Angebotes des Arbeitnehmers hinsichtlich seiner Arbeitsleistung.

2. Zur fehlenden Leistungsfähigkeit oder Leistungswilligkeit des Arbeitnehmers hat die Arbeitgeberin darzulegen und zu beweisen, dass der Arbeitnehmer zur Leistung objektiv außerstande oder subjektiv nicht zur Leistung bereit ist (§ 297 BGB), und dazu Indizien vorzutragen, aus denen auf fehlende Leistungsfähigkeit oder Leistungswilligkeit geschlossen werden kann; hat die Arbeitgeberin solche Indizien vorgetragen oder sind sie unstreitig, ist es Sache des Arbeitnehmers, diese Indizwirkung zu erschüttern.

3. Eine "punktuelle" ärztliche Bescheinigung vom 23.04.2013, wonach es aufgrund des Grundleidens des Arbeitnehmers zu kognitiver Ermüdung kommen kann, reicht nicht aus, eine (auch noch) im Juni und Juli 2013 bestehende Arbeitsunfähigkeit zu indizieren.

 

Normenkette

BGB §§ 615, 293-294, 296, 615 S. 1; EFZG § 5 Abs. 1 S. 2; ZPO § 256 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Dessau (Entscheidung vom 17.01.2014; Aktenzeichen 8 Ca 202/13)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Dessau-Roßlau vom 17.01.2014 - 8 Ca 202/13 - wird - soweit der Rechtsstreit nicht übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt worden ist (Tenor Ziff. 2) - auf ihre Kosten mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass Prozesszinsen erst seit dem 31.07.2013 (Tenor Ziff. 3) bzw. dem 08.08.2013 (Tenor Ziff. 4) von der Beklagten zu zahlen sind.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten, nachdem sie im Termin zur mündlichen Verhandlung am 02.10.2015 den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend hinsichtlich der von dem Kläger zunächst noch begehrten Weiterbeschäftigung für erledigt erklärt haben, noch über die Rechtswirksamkeit einer von der Beklagten vorgenommenen Suspendierung sowie Vergütungsansprüche aus Annahmeverzug.

Der zu 50% schwerbehinderte Kläger war seit 01.11.1993 bei der Beklagten als Vertriebsingenieur, zunächst im Außendienst und seit 01.03.2012 im Innendienst beschäftigt. Auf die Rechtsbeziehungen der Parteien finden die Tarifverträge der Niedersächsischen Metall- und Elektroindustrie, u.a. der Entgeltrahmentarifvertrag (ERA-TV) Anwendung. Der Kläger erhielt Vergütung nach Entgeltgruppe (EG) 12 Stufe C ERA-TV.

Mit Schreiben vom 07.01.2013 (Bl. 5 d.A.) erklärte die Beklagte eine "Suspendierung/Freistellung" gegenüber dem Kläger. Sie stützt diese auf ihrer Auffassung nach vorliegende schwerwiegende, sie - nach Zustimmung des Integrationsamtes - zur außerordentlichen Kündigung berechtigende Pflichtverletzungen des Klägers, insbesondere einen versuchten Arbeitszeitbetrug. Die Beklagte hat die Suspendierung mit der Absicht ausgesprochen, den Kläger bis zur Erteilung der Zustimmung des Integrationsamtes bzw. bis zu einem für sie erfolgreichen Abschluss eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens betr. die Zustimmung zur Kündigung von der Arbeit freizustellen.

Der Kläger hat - unstreitig - für den 24.09.2012 einen fehlerhaften Arbeitszeitnachweis ausgestellt. Er hat anstatt des tatsächlichen Arbeitsbeginns um 09.00 Uhr für jenen Tag in die hierfür vorgesehene Spalte einer Excel-Tabelle "08.15 Uhr" eingetragen. Hiervon hat die Beklagte seit 01.10.2012 Kenntnis. Ihr anschließend bei dem Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt/Integrationsamt gestellter, auch auf weitere Pflichtverletzungen gestützter Antrag auf Zustimmung zur außerordentlichen fristlosen, hilfsweise fristgerechten Kündigung hatte ebenso wie im Anschluss gestellte weitere Anträge auch im nachfolgenden Widerspruchsverfahren keinen Erfolg. Die hierauf vor dem Verwaltungsgericht Halle erhobene Verpflichtungsklage hat dieses mit Urteil vom 26.06.2014 abgewiesen.

Im Anschluss hat die Beklagte erneut - diesmal bei dem für ihren Hauptsitz zuständigen Integrationsamt in H - Anträge auf Zustimmung zur außerordentlichen fristlosen, hilfsweise außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist gestellt und nach Erteilung der Zustimmung das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 19.11.2014 außerordentlich fristlos, hilfsweise zum 30.06.2015 sowie mit weiterem Schreiben vom 15.06.2015 ebenfalls außerordentlich, hilfsweise mit sozialer Auslauffrist gekündigt. Der Kläger hat gegen beide Kündigungen vor dem Arbeitsgericht Dessau-Roßlau Kündigungsschutzklage erhoben. Die Rechtsstreite sind erstinstanzlich noch nicht abgeschlossen.

Vor Ausspruch der Suspendierung befand sich der Kläger zunächst vom 27.09. bis 12.10.2012 in Urlaub. Anschließend war er bis 09.01.2013 arbeitsunfähig erkrankt. Am 08.01.2013 leitete er der Beklagten per E-Mail ein Attest des ihn behandelnden ...

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