Entscheidungsstichwort (Thema)
Stilllegung. Betriebsübergang. Neuvergabe des Rettungsdienstes an anderen Träger. „vorsorgliche Kündigung nach Neuausschreibung”
Leitsatz (amtlich)
1.) Die Neuvergabe des Rettungsdienstes an einen anderen gemeinnützigen Träger durch einen Landkreis ist auch dann kein Betriebsübergang i. S.v. § 613 a BGB, wenn der Landkreis für die Durchführung des Dienstes sämtliche materiellen Mittel (Fahrzeuge, Wach-/Dienstgebäude etc.) zur Verfügung stellt.
2.) Übernimmt der neue Träger des Rettungsdienstes nahezu vollständig das Personal des bisherigen Trägers, kann darin ein Betriebsübergang liegen.
3.) Ein gemeinnütziger Verein, der vollständig fremdfinanziert den Rettungsdienst für den Landkreis durchführt, kann bereits bei Neuausschreibung des Dienstes durch den Landkreis seinen Mitarbeitern im Rettungsdienst kündigen, wenn eine anderweitige Vergabe und damit wegen der dann nicht mehr einhaltbaren Kündigungsfristen zugleich ernstlich seine Insolvenz droht; das gilt auch, wenn er sich selbst am Ausschreibungsverfahren beteiligt.
Normenkette
KSchG § 2; BGB § 613 a
Verfahrensgang
ArbG Dessau (Entscheidung vom 23.11.2000; Aktenzeichen 9 Ca 277/00) |
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des ArbG Dessau vom 23.11.2000 – 9 Ca 277/00 – teilweise abgeändert.
Die Klage wird insgesamt abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer fristgerechten betriebsbedingten Kündigung.
Der Beklagte ist ein auf Kreisebene organisierter gemeinnütziger Verein. Neben einem Betreuungsheim und einer Kindertagesstätte hat er seit 1995 im Auftrag des Landkreises … aufgrund öffentlich-rechtlichen Vertrages gemäß § 3 Abs. 2 RettDG LSA den Rettungsdienst, eine öffentliche Aufgabe der Daseinsvorsorge und Gefahrenabwehr (§ 2 Abs. 1 RettDG LSA), im Landkreis betrieben. Hierzu waren ihm die erforderlichen Rettungswachen und Rettungsfahrzeuge sowie Montur etc. vom Landkreis überlassen worden.
Von den 96 Mitarbeitern der Beklagten (zuzüglich einiger ABM-Kräfte) waren zuletzt 48 als Rettungssanitäter bzw. Rettungsassistenten im Rettungsdienst beschäftigt. Zu ihnen gehörte auch der Kläger. Arbeitsvertraglich war die Geltung des TV DRK-Ost vereinbart. Der – mehrfach verlängerte – Auftrag des Beklagten für den Rettungsdienst lief zum 31.12.2000 aus. Mit Schreiben vom 17.04.2000 teilte der Landkreis dem Beklagten mit, dass der Auftrag zum 01.01.2001 öffentlich neu ausgeschrieben werden solle. Als Träger des Rettungsdienstes könne der Landkreis keine Garantie für die Übernahme des Personals durch einen möglichen neuen Leistungserbringer übernehmen. Zudem seien die Krankenkassen nur noch zur Übernahme der Kosten für 43 Rettungssanitäter/-assistenten bereit. In seinem Amtsblatt vom 01.06.2000 schrieb der Landkreis sodann die „Durchführung von Leistungen im Rettungsdienst” im Zeitraum 01.01.2001–31.12.2004 in 2 Losen öffentlich nach VOL/A aus. Zu jedem Los gehörten 2 Rettungswachen und 5 Spezialfahrzeuge. Die Angebotsfrist lief bis zum 17.07.2000, die Zuschlags- und Bindefrist bis zum 15.08.2000. Der Beklagte bewarb sich für eine erneute Auftragsvergabe. Außer ihm gab auch der … e.V., der dem Rechtsstreit nach Streitverkündung durch den Beklagten in 2. Instanz auf dessen Seite beigetreten ist (im Folgenden: Streitverkündeter), ein Angebot ab.
In der Sitzung des geschäftsführenden Vorstandes des Beklagten am 13.06.2000, an der auch der stellvertretende Vorsitzende des beim Beklagten gebildeten Betriebsrats … teilnahm, erläuterte der Kreisgeschäftsführer des Beklagten, der Zeuge … dass die Chancen des Beklagten im Ausschreibungsverfahren nicht gut stünden, da die Mitbewerber, insbesondere der Streitverkündete, wegen niedrigerer Kosten günstiger anbieten könnten. Während die Mitarbeiter des Beklagten im Durchschnitt über 40 Jahre alt seien, bewerbe sich der Streitverkündete mit 25-jährigen Mitarbeitern, längeren Arbeitszeiten und geringeren Zuschlägen. Mit Beschluss vom selben Tage traf der geschäftsführende Vorstand „die unternehmerische Entscheidung”, allen Mitarbeitern des Rettungsdienstes zum 31.12.2000 zu kündigen (siehe Beschluss 05/2000 vom 13.06.2000). Im Anschluss an die Sitzung übergab der Kreisgeschäftsführer dem stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden den unterzeichneten Beschluss mit dem Hinweis, dass es sich um die schriftliche Mitteilung zur Anhörung des Betriebsrates zu der beabsichtigten Kündigung der Mitarbeiter des Rettungsdienstes handele. Der Betriebsrat beschloss am 14.06.2000, den Maßnahmen nicht zuzustimmen, da der Verlust des Rettungsdienstauftrages noch nicht feststehe.
Mit Schreiben vom 15.06.2000 kündigte der Beklagte allen Mitarbeitern des Rettungsdienstes, so auch dem Kläger, zum 31.12.2000. Am 14.08.2000 beschloss der Vergabeausschuss des Kreistages des Landkreises, den Rettungsdienstauftrag in beiden Losen an den Streitverkündeten zu vergeben. Eine hiergegen gerichtete Beschwerde des Beklagten ...