Entscheidungsstichwort (Thema)
außerordentliche Kündigung. Redakteur. Verstoß gegen Tendenzloyalität. fehlende Abmahnung
Leitsatz (amtlich)
Der erhebliche Verstoß eines Zeitungsredakteurs gegen das Gebot der Tendenzloyalität kann eine außerordentliche Kündigung grundsätzlich rechtfertigen.
Eine Abmahnung ist aber dann nicht entbehrlich, wenn bei einmaligem Vorfall nicht auszuschließen ist, dass der Tendenzverstoß auf einer zwar eklatanten, aber doch versehentlichen Fehleinschätzung beruht.
Normenkette
BGB § 626; KSchG §§ 1, 9
Verfahrensgang
ArbG Magdeburg (Urteil vom 06.12.2001; Aktenzeichen 10 Ca 3919/01) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des ArbG Magdeburg vom 06.12.2001 – 10 Ca 3919/01 – wird unter Einschluss des Auflösungsantrages zurückgewiesen.
Die Kosten der Berufung trägt die Beklagte.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten zuletzt noch um die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung sowie eines hilfsweisen Auflösungsantrages der beklagten Arbeitgeberin.
Der am 08.07.1960 geborene Kläger ist seit dem 01.09.1979 bei der Beklagten bzw. ihren Rechtsvorgängern als Redakteur und zuletzt Leiter der Lokalredaktion … der von der Beklagten herausgegebenen Tageszeitung … beschäftigt. Er erhält Vergütung gemäß der Vergütungsgruppe III c des Gehaltstarifvertrages für Redakteurinnen und Redakteure an Tageszeitungen. Gemäß § 2 des undatierten Arbeitsvertrages der Parteien (Bl. 213–216 d.A.) ist der Kläger zur Einhaltung der festgelegten Richtlinien, Grundsätze, Aufgaben und Zielsetzungen der Zeitung verpflichtet. In § 16 des Arbeitsvertrages wird ergänzend auf die für das Unternehmen einschlägigen bestehenden oder künftigen Tarifverträge für Redakteure an Tageszeitungen in ihrer jeweiligen Fassung Bezug genommen. § 14 Ziffer 4 des Manteltarifvertrages für Redakteurinnen und Redakteure an Tageszeitungen (MTV) bestimmt:
„Der Vertrag kann von jedem Teil ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Als wichtiger Grund gelten insbesondere grobe Verstöße gegen die vereinbarten Richtlinien (§ 2 Abs. 2 c).”
In § 2 Ziffer 2 c MTV heißt es:
”Bei der Anstellung sind festzulegen: Die Verpflichtung des Redakteurs auf die Innehaltung von Richtlinien für die grundsätzliche Haltung der Zeitung.”
Die Beklagte hat „publizistische Grundsätze und Leitlinien der \ …” für Verlag, Chefredaktion und Redaktion aufgestellt (Bl. 82–83 d.A.). Gemäß Nr. 1 Abs. 3 dieser Leitlinien müssen sich die Leser ständig und zuverlässig in der … wieder begegnen können. Die Zeitung spiegelt und vertieft die Erfahrungen und Lebensumstände ihrer Leser. Nach Nr. II Abs. 2 der Leitlinien bemüht sich die … vor dem Hintergrund der geschichtlichen Erfahrungen mit totalitären politischen Systemen um Aufklärung und objektive Darstellung und Bewertung der jüngeren deutschen Geschichte, um die politische Gestaltung der Zukunft in Freiheit zu ermöglichen. In Nr. III der Leitlinien heißt es u. a.: „Die … berichtet über alle Bereiche des öffentlichen Lebens so umfassend, wahrheitsgemäß und unvoreingenommen wie möglich. Die … beachtet streng die Trennung von Nachricht und Kommentar.”
In der jüngeren Vergangenheit änderte die Beklagte ihre betrieblichen Strukturen. Zwischen Chefredaktion und Lokalredaktion wurde eine zusätzliche horizontale Hierarchieebene geschaffen, auf der vier verantwortliche Regionalredakteure für die in ihrer Region jeweils befindlichen Lokalredaktionen zuständig sind. Infolge dieser Maßnahme wurde der Kläger in die Vergütungsgruppe III c herabgruppiert (unter Wahrung seines Besitzstandes).
Mit Schreiben vom 21.01.1998 erteilte die Beklagte durch ihren damaligen Chefredakteur dem Kläger eine Abmahnung. Anlass war der Report eines Volontärs über einen Halberstädter Taxifahrer mit dem Titel „Hier wird geschissen, gekotzt und gevögelt”. Dem Kläger wurde u. a. vorgeworfen, er habe als verantwortlichen Kreisredakteur gegen die journalistische Verantwortung verstoßen und zugelassen, dass das Ansehen der … beschädigt wurde. Die Abmahnung wurde am 24.06.1999 wegen „guter Leistung” und „vorbildlichen Einsatzes” zurückgenommen.
Wenige Tage vor dem 40. Jahrestag des Mauerbaus (13.08.2001) erschien am 09.08.2001 im Halberstädter Lokalteil der, … unter der Oberzeile „Gedanken zur Schriftenreihe Halberstädter Garnisonsgeschichte von Werner Hartmann” ein Beitrag des Oberst a.D. der DDR-Grenztruppen Wilfried Linde mit der Überschrift „Halberstadt war für Tausende zeitweilige Soldatenheimat”. Dem Beitrag waren folgende Einleitungssätze vorangestellt:
”Halberstadt von 1623–1994 zeitweilige Soldatenheimat” lautet der Untertitel der Schriftenreihe von Werner Hartmann zur Halberstädter Garnisonsgeschichte. Wilfried Linde, Oberst a.D. der DDR-Grenztruppen, äußert dazu seine Gedanken.
In dem Beitrag, der sich über etwas mehr als eine halbe Zeitungsseite erstreckte und mit zwei größeren Fotografien exerzierender Grenztruppen bestückt war, heißt es u. a.:
„Der kalte Kr...