Entscheidungsstichwort (Thema)
Berechnung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall bei schwankender Arbeitszeit. unbegründete Zahlungsklage eines Filmvorführers bei Berechnung der Entgeltfortzahlung nach dem Durchschnittsverdienst an sieben Tagen pro Woche
Leitsatz (redaktionell)
1. § 4 Abs. 1 EFZG legt der Entgeltfortzahlung ein modifiziertes Lohnausfallprinzip zugrunde; maßgebend ist allein die individuelle Arbeitszeit des erkrankten Arbeitnehmers.
2. Bei Schwankungen der individuellen Arbeitszeit ist zur Bestimmung der "regelmäßigen" Arbeitszeit eine vergangenheitsbezogene Betrachtung zulässig und geboten.
3. Das Gesetz stellt dem Grundsatz nach entscheidend darauf ab, welche Arbeitsleistung tatsächlich ausgefallen ist; es kommt darauf an, in welchem Umfang der Arbeitnehmer gearbeitet hätte, wenn er arbeitsfähig gewesen wäre.
4. Zur Berechnung des fortzuzahlenden Arbeitsentgelts ist bei einer Stundenvergütung die Zahl der durch die Arbeitsunfähigkeit ausfallenden Arbeitsstunden (Zeitfaktor) mit dem hierfür jeweils geschuldeten Arbeitsentgelt (Geldfaktor) zu multiplizieren.
5. Unterliegt die Arbeitszeit und damit die Entgelthöhe vereinbarungsgemäß unregelmäßigen Schwankungen und kann deshalb der Umfang der ausgefallenen Arbeit nicht exakt bestimmt werden, bedarf es der Festlegung eines Referenzzeitraums, dessen durchschnittliche Arbeitsmenge maßgebend ist; der Vergleichszeitraum bezweckt die sichere Erfassung dessen, was die Arbeitsvertragsparteien als regelmäßige Arbeitszeit des Arbeitnehmers gewollt haben und ist so zu bemessen, dass das Arbeitsverhältnis mit seinen Besonderheiten möglichst umfassend in den Blick kommt und Zufallsergebnisse vermieden werden.
6. Eine "Regelmäßigkeit" im Sinne des § 4 Abs. 1 EFZG lässt sich nur dann annehmen, wenn grundsätzlich ein Vergleichszeitraum von zwölf Monaten vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit hergezogen wird; hat das Arbeitsverhältnis bei Beginn der Arbeitsunfähigkeit weniger als ein Jahr bestanden, ist dessen gesamter Zeitraum maßgebend.
Normenkette
EntgFG § 3 Abs. 1 S. 1, § 4 Abs. 1; EFZG § 3 Abs. 1 S. 1, § 4 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Magdeburg (Entscheidung vom 06.05.2015; Aktenzeichen 11 Ca 2762/14) |
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Magdeburg vom 06.05.2015 - 11 Ca 2762/14 - wird hinsichtlich des Antrags zu 3. und soweit mit dem Antrag zu 2. ein Betrag von 13,20 EUR brutto nebst Zinsen begehrt wird (Überstundenzuschläge) als unzulässig verworfen.
Im Übrigen wird die Berufung als unbegründet zurückgewiesen.
II. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Magdeburg vom 06.05.2015 - 11 Ca 2762/14 - teilweise abgeändert.
Die Klage wird insgesamt abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des gesamten Rechtsstreits.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über Ansprüche auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.
Der Kläger ist aufgrund des Arbeitsvertrages vom 01.12.1996 (Bl. 10 ff. d. A.) bei der Beklagten als Filmvorführer tätig. Nach der Zusatzvereinbarung Nr. 4 vom 07.07.2013 (Bl. 22 f. d. A.) beträgt seine Sollarbeitszeit pro Monat 173 Stunden bei einer Fünf-Tage-Woche. Die von dem Kläger wöchentlich zu leistenden fünf Arbeitstage verteilen sich auf alle sieben Wochentage und variieren. Konkret erfolgt die Einteilung des Klägers aufgrund eines für die sog. Kinowoche (Donnerstag bis Mittwoch) am jeweiligen Montag zu erstellenden Dienstplans.
Auf die Rechtsbeziehungen der Parteien findet weiter seit 01.01.2013 ein Haustarifvertrag Anwendung, der in § 12 Abs. 1 die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall wie folgt regelt:
§ 12 Arbeitsunfähigkeit
1. Ist ein/e Arbeitnehmerin durch Krankheit an der Arbeit verhindert, so erhält er/sie eine Fortzahlung der Vergütung unabhängig von § 4 Abs. 1 S. 1 des Entgeltfortzahlungsgesetzes in Höhe von 100 % bis zur Dauer von sechs Wochen. Überstunden und Überstundenzuschläge bleiben bei der Berechnung der Entgeltfortzahlung unberücksichtigt.
2. ...
Die Beklagte ermittelt die im Krankheitsfall zu leistende Entgeltfortzahlung auf unterschiedliche Weise. Tritt die Arbeitsunfähigkeit ein, nachdem der Mitarbeiter bereits in dem wöchentlichen Dienstplan zum Dienst eingeteilt worden ist, legt sie der Entgeltfortzahlung die laut Dienstplan zu leistenden Arbeitsstunden zugrunde. Betrifft die (fortdauernde) Arbeitsunfähigkeit einen Zeitraum, in dem der Mitarbeiter nicht (mehr) in einem Dienstplan erfasst ist, ermittelt die Beklagte die zu gewährende Entgeltfortzahlung nach dem sog. Durchschnittsprinzip, indem sie - ausgehend von einer 40-Stunden-Woche - pro Kalendertag 5,7 Stunden als Zeitfaktor in Ansatz bringt. In gleicher Weise verfährt die Beklagte bei sog. Mischwochen. Hierbei handelt es sich um "Kinowochen", in denen der (noch) erkrankte Mitarbeiter nach seiner im Verlauf der "Kinowoche" zu erwartenden Genesung für den Rest dieser "Kinowoche" in dem zu erstellenden Dienstplan wieder erfasst wird. Die in jener Woche angefallenen Krankheitstage bringt die Beklagte e...