Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsübergang. Wirtschaftliche Einheit. Teilbetriebsübergang. Betriebsmittelgeprägter Betrieb. Verwirkung des Widerspruchsrechts. Kündigung eines Dienstleistungsvertrags. Rückfall der Betriebsmittel. Rechtgeschäftlicher Übergang
Leitsatz (redaktionell)
1. Eine betriebliche Teileinheit i.S.v. § 613a BGB erfordert nicht, dass die in dieser Teileinheit beschäftigten Arbeitnehmer ausschließlich in diesem Betriebsteil eingesetzt werden.
2. Für die wirtschaftliche Identität eines betriebsmittelgeprägten Betriebs ist der rein rechtstechnische Wechsel von Arbeitnehmern hin zu Leiharbeitnehmern ohne rechtliche Bedeutung.
3. Durch Rechtsgeschäft i.S.v. § 613a Abs. 1 BGB geht ein Betriebsteil auch dann über, wenn der Betriebsteil als Folge der Kündigung eines Dienstleistungsvertrags an den bisherigen Inhaber wieder zurückfällt.
Normenkette
BGB § 613a; AÜG §§ 9-10
Verfahrensgang
ArbG Magdeburg (Urteil vom 04.03.2008; Aktenzeichen 9 Ca 1894/07) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des ArbG Magdeburg vom 04.03.2008 – 9 Ca 1894/07 – teilweise abgeändert und festgestellt, dass zwischen der Klägerin und der Beklagten (MVD) seit dem 01.04.2007 ein Arbeitsverhältnis zu den Bedingungen des Arbeitsvertrages der Klägerin mit der V. GmbH besteht.
2. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
3. Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens tragen die Klägerin und und die Beklagte je zur Hälfte. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten zweitinstanzlich noch darüber, ob das von der V. und D. GmbH Magdeburg (ursprüngliche Beklagte zu 1, im Folgenden: V.) gekündigte Arbeitsverhältnis der Klägerin im Wege des Betriebsübergangs auf die Beklagte (ursprüngliche Beklagte zu 2) übergegangen ist.
Die in M. geschäftsansässige Beklagte ist ein Unternehmen des B.-Konzerns. Sie ist Herausgeberin der Tageszeitung „V.” und einiger Anzeigenblätter, zu denen der mittwochs und sonntags erscheinende „G.” gehört. Zur Herstellung dieser Produkte ist die Beklagte mit einer Vielzahl von anderen Unternehmen im Großraum M. durch Dienstleistungsverträge verbunden. Hierzu gehören konzernangehörige und externe Dienstleister. Im örtlichen Sprachgebrauch wird das Konglomerat als „M. M.” bezeichnet.
Im Druckzentrum B. bei M. werden die von der Mediengruppe vertriebenen Druckerzeugnisse in den Produktionsräumen der Beklagten hergestellt (u.a. Druck- und Weiterverarbeitung). Eigentümerin der Produktionsmittel am Standort B. ist die Beklagte, die auch die Abläufe steuert. Die Beklagte hatte die Weiterverarbeitung von „V.” und „G.” für die Auslieferung ursprünglich selbst betrieben und sie nachfolgend auf selbständige Dienstleister übertragen, seit 1996/1997 auf die Firmen V. und M. B. GmbH (im Folgenden: M.) bzw. deren Rechtsvorgängerin. Der Geschäftsführer der V. war zugleich Mitgeschäftsführer der M. Die Koordination der Arbeitsabläufe, Produktionspläne und produktionsbezogene Anweisungen im Druckzentrum B. oblagen u. a. der Fa. P. & I. S. B. GmbH (im Folgenden: P.). M. und P. sind auf Initiative und mit Hilfe von Darlehen der Beklagten gegründete Unternehmen. Die H. B. V. KG besaß für Bankkonten dieser und weiterer Unternehmen der Mediengruppe M. Vertretungsmacht und war zeichnungsberechtigt (vgl. Anlage K 10, Bl. 117 ff. d.A.).
Die produktionsbezogenen Abstimmungen erfolgten unternehmensübergreifend über ein letztlich von der Beklagten gesteuertes Kommunikationssystem (vgl. die hierzu ergangenen Entscheidungen des BAG vom 6. April 2006 – 8 AZR 222/04, BAGE 117, 349, vom 19. November 2003 – 7 ABR 25/03, AP Nr. 55 zu § 19 BetrVG 1972 und zuletzt vom 13. August 2008 – 7 ABR 21/07, Juris, wo das BAG die personalbezogenen Einsatzplanungen auf der Grundlage der Feststellungen der Vorinstanz als „Vorschläge” bewertet hat ≪Rz. 39≫). Zumindest im Jahre 2004 bezogen sich die Vorgaben des Geschäftsführers der P. gegenüber V. und – teilweise – M. auch auf Anzahl und Auswahl einzustellender Arbeitnehmer sowie ihre Vergütung und ihren Einsatz (vgl. Anlage K 9, Bl. 125 d.A.).
Für den Weiterverarbeitungsprozess im Druckzentrum B. ist die Weiterverarbeitungsmaschine der Marke Ferag nebst zugehörigen Anlagen von wesentlicher Bedeutung. Sie dient der Bestückung der Zeitungsprodukte mit Beilagen und anderen variablen Bestandteilen. Die Anlagen sind an den Druckbereich online „angedockt” und werden von der einheitlichen Software des SAP-Programms der Beklagten gesteuert, die für die Zusammenstellung der Produkte, das Versehen mit Beilagen, die Kommissionierung für unterschiedliche Kunden und die Verladung auf die LKW an der Rampe maßgeblich ist. An den Ferag-Anlagen sind idR pro Schicht ca. 4-5 Linienführer, 2-4 Logistiker, 1 Dispatcher/Aufsicht und eine wechselnde Anzahl (0-30) Einleger für die Beilagenbeschickung am so genannten Anleger tätig (vgl. Produktionsablaufschema nebst Schichtplänen, Anlage K 4, Bl. 107-110 d.A. sowie Sitzungsprotokoll vom 21.10.2008...