Entscheidungsstichwort (Thema)
Teilbetriebsübergang nach Kündigung. Verwirkung
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Geltendmachung eines Betriebsübergangs durch den Arbeitnehmer kann wie jeder andere Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis verwirkt werden. Das ist der Fall, wenn der Anspruchsberechtigte erst nach Ablauf eines längeren Zeitraums den Anspruch erhebt (Zeitmoment) und dadurch beim Verpflichteten einen Vertrauenstatbestand geschaffen hat, er werde nicht mehr in Anspruch genommen (Umstandsmoment). Hierbei muss das Erfordernis des Vertrauensschutzes auf Seiten des Verpflichteten das Interesse des Berechtigten derart überwiegen, dass ihm die Erfüllung des Anspruchs nicht mehr zuzumuten ist.
2. Ein Betriebsübergang liegt vor, wenn ein neuer Rechtsträger die wirtschaftliche Einheit unter Wahrung ihrer Identität fortführt. Der Begriff „wirtschaftliche Einheit” bezieht sich auf eine organisatorische Gesamtheit von Personen und Sachen zur auf Dauer angelegten Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mit eigener Zielsetzung. Bei der Prüfung, ob eine solche Einheit unter Wahrung ihrer Identität übergegangen ist, sind sämtliche den betreffenden Vorgang kennzeichnenden Tatsachen zu berücksichtigen. Zu diesen Tatsachen zählen insbesondere die Art des betreffenden Betriebs, der Übergang materieller Betriebsmittel wie Gebäude und bewegliche Güter sowie deren Wert und Bedeutung, die Übernahme der immateriellen Betriebsmittel und der vorhandenen Organisation, der Grad der Ähnlichkeit mit der Betriebstätigkeit des bisherigen Inhabers, die Weiterbeschäftigung der Hauptbelegschaft, der Übergang von Kundschaft und die Lieferantenbeziehungen sowie die Dauer einer eventuellen Unterbrechung der Betriebstätigkeit.
3. Eine betriebliche Teileinheit i.S.v. § 613a Abs. 1 S. 1 BGB erfordert nicht, dass die dort beschäftigten Arbeitnehmer nur in diesem Betriebsteil eingesetzt werden.
Normenkette
BGB §§ 613a, 242; KSchG § 1
Verfahrensgang
ArbG Magdeburg (Urteil vom 20.02.2008; Aktenzeichen 7 CA 1890/07) |
Nachgehend
Tenor
1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des ArbG Magdeburg vom 20.02.2008 – 7 Ca 1890/07 – teilweise abgeändert und festgestellt, dass zwischen des Klägers und der Beklagten (MVD) seit dem 01.04.2007 ein Arbeitsverhältnis zu den Bedingungen des Arbeitsvertrages des Klägers mit der VDS GmbH besteht.
2. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
3. Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens tragen der Kläger und und die Beklagte je zur Hälfte. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten zweitinstanzlich noch darüber, ob das von der V.- und D. GmbH M. (ursprüngliche Beklagte zu 1, im Folgenden: VDS) gekündigte Arbeitsverhältnis des Klägers im Wege des Betriebsübergangs auf die Beklagte (ursprüngliche Beklagte zu 2) übergegangen ist.
Die in M. geschäftsansässige Beklagte ist ein Unternehmen des B.-Konzerns. Sie ist Herausgeberin der Tageszeitung „V.” und einiger Anzeigenblätter, zu denen der mittwochs und sonntags erscheinende „G.” gehört. Zur Herstellung dieser Produkte ist die Beklagte mit einer Vielzahl von anderen Unternehmen im Großraum M. durch Dienstleistungsverträge verbunden. Hierzu gehören konzernangehörige und externe Dienstleister. Im örtlichen Sprachgebrauch wird das Konglomerat als „Mediengruppe M.” bezeichnet.
Im Druckzentrum B. bei M. werden die von der Mediengruppe vertriebenen Druckerzeugnisse in den Produktionsräumen der Beklagten hergestellt (u.a. Druck- und Weiterverarbeitung). Eigentümerin der Produktionsmittel am Standort B. ist die Beklagte, die auch die Abläufe steuert. Die Beklagte hatte die Weiterverarbeitung von „V.” und „G.” für die Auslieferung ursprünglich selbst betrieben und sie nachfolgend auf selbständige Dienstleister übertragen, seit 1996/1997 auf die Firmen VDS und M.-S. B. GmbH (im Folgenden: MSB) bzw. deren Rechtsvorgängerin. Der Geschäftsführer der VDS war zugleich Mitgeschäftsführer der MSB. Die Koordination der Arbeitsabläufe, Produktionspläne und produktionsbezogene Anweisungen im Druckzentrum B. oblagen u. a. der Fa. P. & I. S. B. GmbH (im Folgenden: PIT). MSB und PIT sind auf Initiative und mit Hilfe von Darlehen der Beklagten gegründete Unternehmen. Die H. B. V. KG besaß für Bankkonten dieser und weiterer Unternehmen der Mediengruppe M. Vertretungsmacht und war zeichnungsberechtigt (vgl. Anlage K 10, Bl. 86 ff. d.A.).
Die produktionsbezogenen Abstimmungen erfolgten unternehmensübergreifend über ein letztlich von der Beklagten gesteuertes Kommunikationssystem (vgl. die hierzu ergangenen Entscheidungen des BAG vom 6. April 2006 – 8 AZR 222/04, BAGE 117, 349, vom 19. November 2003 – 7 ABR 25/03, AP Nr. 55 zu § 19 BetrVG 1972 und zuletzt vom 13. August 2008 – 7 ABR 21/07, Juris, wo das BAG die personalbezogenen Einsatzplanungen auf der Grundlage der Feststellungen der Vorinstanz als „Vorschläge” bewertet hat ≪Rz. 39≫). Zumindest im Jahre 2004 bezogen sich die Vorgaben des ...